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Udo Müller »Die Hälfte der Standorte wird langfristig digital sein«

invidis traf am Rande der Jahreshauptversammlung zu einem Gespräch mit Udo Müller, Vorstandsvorsitzender der Ströer Out-of-Home-Media AG zusammen. Welche Rolle spielt die Außenwerbung in der Zukunft im Mediamix, wie entwickeln sich digitale Netze und welche Technologie benötigt Ströer für die „Digitale Wende“. Das Gespräch führte Florian Rotberg

 

Sehr geehrter Herr Müller, Ströer setzt starken Fokus auf digitale Außenwerbung. Wo sehen sie die Zukunft von DooH und welche Standorte können funktionieren?

Das ist sicherlich von Land zu Land ein bisschen unterschiedlich. Wir haben mit dem Out-of-Home-Channel ja gerade erst angefangen und sind nach der Aufbauphase jetzt dabei, das neue Angebot zu einer gewissen Reife zu entwickeln. Das wird auch noch ein paar Jahre dauern. Denn da müssen viele Beteiligte umdenken, weil wir es mit einem ganz neuen Produkt zu tun haben.

Ich persönlich bin nicht davon überzeugt, dass man an beliebig vielen Orten einfach überall ein Display hinhängen und über Plattformen zusammenschalten wird. Das wird nicht funktionieren. Eine wesentliche Erfolgsvoraussetzung ist die Frage der wirkungskritischen Kontaktmenge pro Konsument. Nach der alten Fernsehformel braucht man sechs Kontakte, um einen Wirkungskontakt zu erzielen. Dementsprechend können sie nur da etwas machen, wo die Leute jeden Tag vorbeikommen.

Ich glaube, dass Arztpraxen, Apotheken und sonstige In-Shop Standorte in dieser Systematik einfach nicht funktionieren. Ob die eines Tages daraus einen Business Case machen können, muss man abwarten. Wir sind auf jedem Fall auf die Themen fokussiert, bei denen wir entsprechende Kontaktmengen und Reichweiten aufbauen können.

Ströer ist sehr gut in Deutschland positioniert. Es wird für einen Wettbewerber schwierig sein, ein zweites nationales Netz aufzubauen, das eine vergleichbare Qualität hat.

Welche Rolle können Outdoor LED-Boards übernehmen oder ist deren Qualität für digitale Außenwerbung nicht gut genug?

Ich persönlich glaube, dass LED im Sinne eines aktiven Displays, das Licht ausstrahlt, keine Zukunftstechnologie ist. Es passt ökologisch nicht in die Landschaft, da es viel zu viel Energie verbraucht. Da sind schon bald deutliche Gegenbewegungen zu erwarten. Auch qualitativ ist das eine Herausforderung, denn LED Boards müssten theoretisch heller sein als die Sonne. Das funktioniert aber nicht.

Hinzu kommt: Mit LED hat man stark blickwinkelabhängige Qualitäten der Sichtbarkeit. Auch die Anzahl der Pixel ist ein Thema – unter 10mm ist heute technisch noch keine Lösung verfügbar. Für die Darstellung eines 9m² großen Plakats hat man beim Druck Millionen von Bildpunkten zur Verfügung, bei einem LED sind es nur ein paar Tausend. Ich bin sehr skeptisch, dass sich das durchsetzt, auch wenn es hier und da sicherlich kommen wird, weil nicht alle einen so hohen Qualitätsanspruch haben und es öffentliche Plätze gibt, an denen das sinnvoll erscheinen mag.

Aber einen Qualitätsanspruch von den Kunden, die wir aus dem Druckbereich kennen, lässt sich damit noch nicht mal ansatzweise erzielen. Insofern glauben wir eher an passive Technologien, wo im Grunde nur Energie gebraucht wird, um das Bild zu verändern. Vergleichbar mit dem eBook von Kindle. Das kann man auch in der Sonne lesen, wo Licht reflektiert wird. Eine solche Technologie wird sicherlich kommen. Ich sehe mehr passive Displays für den Außenbereich und aktive Displays für den Innenbereich.

Sehen sie die Zukunft nur in Netzwerken oder auch in Landmarks wie der Meta Twist Tower am Flughafen München?

Beides wird seine Berechtigung haben für unterschiedliche Kunden und Themen. Generell ist der Flughafen eher eine Location für Landmark Sites. Signifikante Reichweiten lassen sich am Flughafen nicht erzielen.

Ich glaube, alle Flughäfen in Deutschland zusammen haben drei Prozent Reichweite. Dort geht es darum, eine ganz spezielle Kundengruppe, für die das interessant sein könnte, mit einer Message zu beeindrucken oder sie in Erinnerung rufen. Es macht wenig Sinn, am Flughafen eine wöchentliche Kampagne zu schalten, weil die nur von sehr begrenzter Sichtbarkeit wäre. Special Sites werden von bestimmten Kunden immer nachgefragt werden und dafür ist der Flughafen eine sehr geeignete Location. Flughäfen sind definitiv ein interessantes Thema, werden aber meiner Meinung nach von den Reichweiten häufig massiv überschätzt.

Es scheint, dass Ströer zurzeit kein großes Interesse an Flughäfen hat. Liegt das alleine an der Telekom out of Home Media, die bereits die wichtigsten Standorte besetzt hat? Mit dem Ad Walk DUS verfügen sie über ein Flughafenprodukt, das nicht mehr ganz den eigenen Standards entspricht?

Den DUS Ad Walk haben wir gerade überarbeitet und im letzten Jahr die Displays deutlich vergrößert. Das Produkt ist nun deutlich attraktiver und ist in line mit unserer Strategie.

Grundsätzlich haben wir keine dedizierte Flughafenstrategie, da wir ein Reichweiten-Produkt entwickeln und die Flughäfen von der Frequenz her einfach sehr gering sind. Selbst der Frankfurter Flughafen weist nur halb so viel Frequenz auf, wie der Frankfurter Hauptbahnhof

Hat der Ad Walk noch eine Zukunft? Am Hauptbahnhof in Berlin wurde der AD Walk durch den Out-of-Home-Channel ersetzt. Ist das Produkt vielleicht zu kompliziert für die Kreativagenturen?

Nein, wir haben die Agenturen nicht überfordert, aber wir haben den Ad Walk durch eine größere Lösung ersetzt. Es ist eine Frage der Standorte. Der Ad Walk lässt sich nicht beliebig vermehren. Die Berliner Standorte am Hauptbahnhof waren einfach perfekt für den Aufbau des Out-of-Home-Channels.

Wenn DooH irgendwann mal auch anders als in Shopping Centern und Bahnhöfen funktionieren soll, dann sicherlich nur auf dem Backbone eines großen nationalen Netzes.

Im Herbst 2011 haben sie die ECE Flatmedia übernommen. In welche Richtung soll sich das Shopping Center Netzwerk entwickeln? Bleibt es bei der Kombination abgependelte Bildschirme und OC Stelen?

Wir wollen die Kombination weiter entwickeln, denn in einem Shopping Center gibt es noch mehr visuelle Reize als in einem Bahnhof. Insofern glauben wir, dass durch den sogenannten Double Impact der kombinierten Bildschirme der Kundennutzen massiv steigt.

Shopping Center sind natürlich, wenn sie die Qualität der ECE Malls haben, ein hochinteressanter Werbestandort. Dieser ist zurzeit in Deutschland noch nicht im Fokus der Agenturen und Werbungtreibenden. Ich glaube, dass wir in der Kombination Bahnhof und Shopping Center ein gutes Ergebnis erzielen werden.

Wie steht Ströer zum Thema DooH und Interaktivität?

Wir sind davon überzeugt, dass interaktive, neue Werbeformen ein hervorragender Hebel sind, um neue Kunden für DOOH zu gewinnen. Aber hier muss man aufpassen: Jede Zunahme an Targeting-Möglichkeiten und interaktiven Themen vermindert immer eine Massenwirksamkeit. Wenn man auf 40.000 Konsumenten am Tag abzielt, kann man in der Regel nicht mit jedem einzeln interagieren. Und die Stärke der Außenwerbung besteht gerade darin, großformatige Bildinformationen an viele Leute abzustrahlen.

Neue Möglichkeiten für Interaktivität sehe ich an Locations mit Flanier- oder Wartesituationen wie in Shoppingcentern oder bestimmten Bereichen im Bahnhof. Vielleicht auch auf einem Platz – aber das sehe ich nicht an einer Straße, die am Tag 40.000 Leute passieren.

Das halte ich auch für den falschen Ansatz: alles, was früher Print war, tendiert jetzt in Richtung Internet und Interaktivität. Mit Hilfe der AIDA-Formel – Attention, Interest, Desire und Action – lässt sich das gut erklären. Der Vorteil der digitalen Entwicklung ist, dass unsere Wettbewerber immer mehr in Richtung Action – also Transaktion – rücken.

Auf den ersten Blick ist das natürlich ein Vorteil, aber letztendlich gewinnen wir zunehmend eine stärkere Position für das Thema große Bilder. Eine Doppelseite in einem Magazin ist erst mal auch ein großes Bild, im Internet hat es aber nur noch die Größe einer Briefmarke. Entscheidend ist, dass die Bildinformation der wichtige Treiber ist. Wir wissen, dass große Bilder viel besser erinnert werden als kleine Bilder, und kleine Bilder werden wiederum besser erinnert als Worte.

Und da besteht für Außenwerbung die Chance. Unsere Wettbewerber gewinnen zwar neue Themen, denn alle Content-tragenden Werbekanäle gehen ganz klar in Richtung Transaktion. Wenn sie Spiegel.de aufrufen, bekommen Sie andere Werbung als ich. Das ist halt der letzte Moment vor der Transaktion, aber das ist keine große Fläche, die Sie anschauen und die auf Sie wirkt und die in Ihnen unbewußt Bilder und Marken aufbaut.

Und das ist die große Chance von Außenwerbung: Die letzte Quelle für große Reichweite und große Bilder zu sein. Die braucht man, um überhaupt Attention, Interest und Desire zu entwickeln.

KemperTrautmann hat für den Kunden Görtz in Hamburg OC Stelen mit Microsoft Kinect kombiniert. Ist das eine einmalige Success Story oder lässt sich Interaktivität auch zukünftig integrieren?

Da sind wir Nutznießer der genialen Idee von KemperTrautmann. Wir haben die Kreativagentur unterstützt und wir sind sehr begeistert von dem Thema.

Das Produkt ist innovativ, interaktiv, berührungs- und barrierefrei und ist kombiniert mit einer sehr persönlichen Ansprache: eigentlich genau das, was unsere Kunden suchen, wenn sie nicht auf die ganz großen Reichweiten abzielen. Wir stellen unseren Kunden nun 50 dieser Systeme an Bahnhöfen und in Einkaufscentern bereit, die den Charme des Karaoke-Charakters mit Hilfe von Promotoren umsetzen werden. Ich finde das sensationell und den Reiz dieser Idee sah jeder, dem wir das bisher gezeigt haben.

Welche Herausforderung sehen sie für digitale Außenwerbung?

Die größte Herausforderung ist ganz klar, ein straßentaugliches Display zu entwickeln. Nur ein sehr kleiner Teil der Außenwerbung spielt sich innerhalb von Gebäuden ab. Der mit Abstand größte Teil der Außenwerbung findet draußen statt. Und deshalb sind wir erst am Anfang einer Entwicklung.

Wir haben die Erwartung, dass langfristig  die Hälfte der Standorte digital sein werden. Die Anzahl der Standorte wird abnehmen, wobei gleichzeitig die Technologie und die Qualität massiv zunimmt.

Und wie sieht es mit gesetzlichen Hürden / Einschränkungen aus?

Ich glaube nicht, dass wir Bewegtbild am Straßenrand sehen werden. Es macht auch wenig Sinn, einen 15 Sekunden Spot zu zeigen, wenn die Autos in fünf oder sechs Sekunden daran vorbei fahren. Am Bahnhof ist das etwas anderes. Dort geht man zu Fuß, hat also eine längere Passagezeit und eine Multikontaktsituation.

Aber das ist sicherlich der nächste Schritt. Passive Displays für die Straße werden die Außenwerbung insgesamt komplett auf den Kopf stellen. Und damit sind wir natürlich ein bisschen auf dem Weg zum Minority Report. Damals haben wir gedacht, dieser Wahnsinn wird nicht passieren. Aber heute sind wir gar nicht mehr so weit davon entfernt. Sie werden zu Hause Displays haben, mobile Displays in der Hand, im Auto und auf der Straße. Die ganze Medienwelt wird sich so vernetzen, dass man von der Information den Tag hindurch begleitet wird.

Vielen Dank