Achim Fringes, Vis a Vis

Achim Fringes

„Der Kunde will kein totes Fleisch sehen“

Wer Achim Fringes einmal live erlebt hat, erkennt sofort, dass kein Theoretiker am Werk ist, sondern ein gestandener Kaufmann. Er hat sich das Thema Neuromarketing auf die Fahnen geschrieben – ein Fachgebiet, das für die meisten Zuhörer absolutes Neuland ist. Dabei verzichtet Fringes bewusst auf komplizierte Theorien und beschränkt sich auf die wesentlichen Mechanismen, die in uns – den Kunden – Kaufentscheidungen auslösen, und überrascht mit zahlreichen Beispielen aus der Praxis.

Achim Fringes ist gelernter Einzelhändler, war Verkaufsleiter in der Lebensmittelindustrie und selbstständiger Einzelhandelsfilialunternehmer. Seit 2001 ist er als selbstständiger Unternehmensberater, Coach und freier Autor international tätig. Sein Spezialgebiet ist die Umsetzung von Denk- und Wahrnehmungsprozessen im Handel. In seinen Seminaren führt er Handelsleute verständlich in die Welt der Gehirnforschung ein.

In seinem Buch „Brainshopping“ befasst sich Achim Fringes mit der Frage, wie neueste Erkenntnisse der Neurowissenschaften, speziell der Neurologie und der Neurobiologie, für den Handel von Nutzen sein können. Diese Erkenntnisse fasst er in einer auch für den Laien verständlichen Sprache zusammen und führt so den Leser behutsam an eine Welt heran, in der die Zukunft flach erscheint (Bildschirme) und der Handeltreibende versucht, seine Kunden auf allen Ebenen der Sinneswahrnehmung anzusprechen.

Hat ein Kunde beim Einkaufen die Qual der Wahl, so zählen logische und emotionale Argumente. „In Zeiten übersättigter Märkte müssen Produkte und Dienstleistungen nicht nur günstig und qualitativ hochwertig sein, sondern auch starke emotionale Assoziationen beim Kunden auslösen. Sie sind sonst für das Gehirn wertlos“, sagt Achim Fringes.

Seitdem sich in der Forschung die Zeichen mehren, dass wir nahezu 80 % unserer Entscheidungen unbewusst treffen, werde es für den Handel immer wichtiger, sich mit der Gefühlswelt des Verbrauchers auseinanderzusetzen. „Limbisches System, Thalamus und Hypothalamus als Teile des Gehirns werden deshalb zum Mekka der Marketingstrategen auf der Suche nach dem ‚Gucci-Gefühl’ und dem ‚Jetzt-kaufen-Knopf’.“

Der Grund für diesen Hype ist das derzeit größte Problem der Wirtschaft: die wachsende Ununterscheidbarkeit von Dienstleistungen und Produkten. Die Konsumenten werden zugleich immer unberechenbarer. Mal bevorzugen sie Schnäppchen, mal Luxus, mal Lebensgefühl, mal Discounter. Die tradierten Zielgruppen lösen sich auf.

Hier kommt die Hirnforschung gerade recht. In den vergangenen Jahren hat sie große Fortschritte gemacht. „Die Ergebnisse umfassen ebenso Erkenntnisse über Wahrnehmungs- und Entscheidungsprozesse wie die Feststellung, dass es gravierende Unterschiede zwischen den Gehirnen von Frauen und Männern gibt“, so Fringes, der Autor des Buchs Brainshopping .

Neuroökonomen der Universität Münster stellten fest, dass sich der Verstand geradezu ausschaltet, wenn wir mit unserem Lieblingskaffee konfrontiert werden. Die Entscheidung wird von den Gefühlsregionen im Gehirn übernommen. Lange bevor Werbung und Marketing diese Erkenntnisse für sich entdeckt haben, stellte der Wissenschaftler Professor Gerhard Roth fest: „Alle Entscheidungen sind letztlich Gefühlsentscheidungen. Entscheidungen ohne Gefühl gibt es gar nicht.“

Der Homo oeconomicus existiert nicht

Der Homo oeconomicus, der rein rational die Alternativen abwägt, erweist sich anscheinend als Fiktion:

„Als Grundlage neurobiologischer Erkenntnisse gilt, dass Gefühl und Verstand nicht unabhängig voneinander funktionieren können. Markenartikler setzen schon lange auf die Karte Emotionen. Mode oder schöne Trendartikel haben es hier leichter als der Anbieter von Lebensmitteln.

Neue Medien ermöglichen es, das emotionale Plakat und rationale Informationen zu verbinden. Beim Glas- und Geschenkfilialisten Leonardo werden die Screens vor allem für die emotionale Inszenierung der Markenwelt erfolgreich eingesetzt“,

weiß Fringes. Der Kontext verändere die Bedeutung und Funktion des Wahrgenommenen. Diese Abhängigkeit würden sich Merchandiser zunutze machen. So werden zum Beispiel in Leonardo-Geschäften hochwertige Vasen in der Ladendekoration mit Wasser befüllt, obwohl es sich um künstliche Blumen handelt. „Die Vase mit Wasser und Blume lässt beim Betrachter unweigerlich den Eindruck von frischen Blumen entstehen. Sie emotionalisieren und ändern die Atmosphäre im Verkaufsraum. Die Vorstellung, wie die angebotene Vase zu Hause aussehen würde, wird dem Kunden deutlicher. Da diese Wahrnehmungen unterbewusst ablaufen, haben selbst kleine Veränderungen eine große Wirkung. Im Handel gibt es hier noch einen hohen Nachholbedarf.

Kontextabhängigkeit wird oft nicht erkannt: „Der Korkenzieher neben dem Weinglas reicht einfach nicht aus“, mahnt der gelernte Einzelhändler Fringes. Man könne das Thema Neuromarketing oder Neuromerchandising nicht monokausal betrachten, denn einen „Kaufknopf“ im Kopf gibt es nicht. Die Wahrnehmung des Menschen sei individuell und werde von verschiedenen Faktoren geprägt: Erziehung, Familie, Erwartungen und Kontext. „Wichtig ist ein integrierter Ansatz, der alle Wahrnehmungsmöglichkeiten des Konsumenten berücksichtigt. So ist das Duftmarketing bislang eine unterschätzte Größe und wird nur von wenigen Firmen umgesetzt – beispielsweise von der Modekette Abercrombie & Fitch. Sie präsentieren ein unverwechselbares Raum-, Klang- und Duftkonzept“, führt Fringes aus.

Der Händler sollte mehr Mut entwickeln

invidis im Gespräch mit Achim Fringes über Neuromerchandising, verkrustete Strukturen und die Zukunft des Handels. Hier gelangen Sie zum Interview.
(eca)