Den richtigen Augenblick erfassen

Von Oliver Schwede

Digital-Signage-Netzwerke kosten Geld – viel Geld. Um Investitionssicherheit zu schaffen, muss ein solides Finanzierungsmodell geschaffen werden. Die Vermarktung der Werbezeiten ist verführerisch. Doch birgt sie manch technische Herausforderung.

Wie viel Geld kann man für die Schaltung eines Werbespots in einem Out-of-Home-Advertising-Netzwerk verlangen? Mediaagenturen sind es aus dem Printbereich gewohnt, mit dem TKP zu rechnen. Der Tausend-Kontakte-Preis (TKP) wird als Basis für die Anzeigenpreise herangezogen. Er berechnet sich aus den Kosten für die Anzeige geteilt durch die Bruttoreichweite des Mediums mal tausend. Damit steht der Geldbetrag fest, den ein Werbekunde zahlen muss, um 1000 Rezipienten einer bestimmten Zielgruppe zu erreichen.

Die dafür notwendige Reichweite des Mediums wird regelmäßig durch verschiedene Institute erhoben. Dadurch wird die Berechnung des TKP für alle Beteiligten transparent.

Will man dieses System auf ein Digital-Signage-Netzwerk übertragen, muss man feststellen, wie viele Menschen wirklich auf die elektronischen Plakate schauen. Ein nicht ganz triviales Problem. Insbesondere wenn man nach einer Möglichkeit sucht, diesen Vorgang zu automatisieren.

Elektronische Kontrolleure
Hilfe kommt aus der Industrie. Mittels Remote-Eye-Tracking- und Head-Tracking-Systemen soll die Zählung effizient und effektiv möglich sein. Zwei Unternehmen, die sich dieses Themas angenommen haben sind Trumedia aus Israel und Xuuk aus Kanada. Letzeres ist in den letzten Monaten mit viel medialer Aufmerksamkeit bedacht worden. Nicht zuletzt wegen des sehr niedrigen Preises von rund 1000 Dollar pro Tracking-System. Trumedia, ein Spin-off von Mate Intelligent Video, das sich auf Videoüberwachungssysteme spezialisiert hat, kann auf sechs Jahre Entwicklungserfahrungen in diesem Bereich zurückgreifen. Das iCapture genannte System arbeitet auf Basis von Head-Tracking, also der klassischen Gesichtserkennung.

Xuuk, ein Spin-off, das der Queens University entstammt, setzt auf Remote-Eye-Tracking. Dies ist ein absolutes Novum. Bisherige Eye-Tracking-Systeme setzten bei der Erfassung der Augenbewegung normalerweise auf mobile Kamerasysteme, die der Proband mit sich führt. Am bekanntesten sind die so genannten Helmkameras. Das besondere am Remote-Eye-Tracking ist, dass eine entfernt angebrachte Kamera die Augen des Probanden erkennt, deren Bewegung analysiert und dadurch die Blickrichtung errechnet. Bisherige Systeme waren in ihrer Reichweite auf rund einen halben Meter beschränkt. Xuuk will dies Problem gelöst haben und wirbt mit bis zu 10 m Reichweite. Übrigens dieselbe Entfernung, die auch Trumedia für ihr System angibt. Günstige Beleuchtungsverhältnisse vorausgesetzt.

Remote-Eye-Tracking von Xuuk
Das System besteht aus einem kleinen, hochauflösenden 1,3-Megapixel-Kamera-Modul (1280 × 1024 Pixel), das von Infrarot-LEDs umgeben ist und einem zweiten Infrarot-LED-Modul, das in rund 50 cm Entfernung platziert wird. Zunächst muss aber erst die richtige Optik ausgewählt werden, um die gewünschte Distanz und den Erfassungswinkel anzupassen. Ein wichtiger Punkt, denn die Qualität des Kamerabilds ist entscheidend für den Erkennungsprozess. Die Lichtverhältnisse spielen dabei eine wichtige Rolle. Denn über- oder unterbelichtete Bilder können eine Erkennung unmöglich machen. Die weitere Einrichtung ist sehr einfach. Eine Testperson positioniert sich in dem Abstand vor die Kamera, in dem später die Passanten erfasst werden sollen. Die Kalibrierung dient in erster Linie der Abstimmung auf die Lichtverhältnisse und soll in rund 30 Sekunden erledigt sein.

Das System unterscheidet und erfasst automatisch die Anzahl der Personen, die auf das Display schauen sowie die jeweilige Betrachtungsdauer. Die Daten können per Telnet über den Port 5015 betrachtet und in einem Textfile gespeichert werden. Nicht gerade komfortabel. In Kürze will Xuuk jedoch einen Webservice anbieten, an den die Daten automatisch übermittelt und in anwenderfreundlicher Form aufbereitet werden. Diesen Service wird sich Xuuk extra bezahlen lassen, genaue Preisvorstellungen gibt es allerdings noch nicht. Ein Blick in die Spezifikationen des Systems lässt Zweifel an der Behauptung aufkommen, dass ein sauberes Eye-Tracking über eine Distanz von 10 m durchgeführt werden kann. Bei einem Abstand von 3 m kann die errechnete Blickrichtung um bis zu 8,5 Grad von der realen Richtung abweichen. Das entspricht auf die größere Entfernung einer Fehleinschätzung von rund 45 cm. Je größer der Abstand des Betrachters vom Bildschirm ist, desto größer wird der Fehler aufgrund der Winkelabhängigkeit. Die Nachfrage bei Xuuk ergab eine unpräzise Antwort. Roel Vertegall, CEO von Xuuk Inc., sagt:

„Bei Entfernungen größer als drei Meter bleibt der Fehler relativ stabil. Der Großteil der Signage Anwendungen sind in beträchtlichen Abständen angebracht. Daher funktioniert das System in der Praxis sehr gut.“

Praktische Erfahrungen mit dem System konnten wir noch nicht sammeln, da Xuuk uns keine Eyebox2 zur Verfügung stellen konnte. Daher ist eine wirkliche Beurteilung des Systems an dieser Stelle nicht möglich.

Head-Tracking von Trumedia
Die Psychologie liefert für diese Art der Erfassung die Grundlage: Beim intensiven, aber auch entspannten Sehen wird der Kopf automatisch in die entsprechende Blickrichtung gelenkt. Daher kann man aus der Bewegung des Kopfes die Blickrichtung ableiten. Dazu ist es notwendig, einen Kopf bzw. ein Gesicht erst einmal zu erkennen. Eine sehr komplexer Vorgang, den die Software leisten muss. Das zur Berechnung notwendige Bild wird ebenfalls durch ein Kameramodul geliefert. Die Software läuft entweder auf einem PC oder aber auf einer speziellen, mit DSP ausgestatteten Hardware, die von Trumedia als Option angeboten wird.

Das Setup ist ähnlich einfach wie bei Xuuk. Wichtig ist die Wahl der passenden Kameraoptik, um den gewünschten Tracking-Bereich zu erfassen.

Im März 2008 führte invidis consulting einen Test während der CeBIT mit einem Beta-System der iCapture-Lösung durch. Dabei stellte das Tracking-System seine Praxistauglichkeit unter Beweis. Nicht jedoch ohne einige Schwächen zu offenbaren. Größtes Manko war die verwendete Kamera. Helles Gegenlicht brachte die Erkennungssoftware aus dem Tritt. Die Erkennung gelang gar nicht oder erst nach mehr als 30 Sekunden. Seit August gibt es allerdings eine neue Version von iCapture, die sich iCapture Ultra nennt. Den Kern bilden neue Kameramodule, die neben einem weitwinkligen Erfassungsbereich von 130 Grad, eine stark verbessere Bildqualität liefern sollen. Das Kamerabild wird dabei in einzelne Segmente unterteilt und die Belichtung für diese Bereiche individuell geregelt. Ein Verfahren, dass sich mit der HDR-Fotografie (High Dynamic Range) vergleichen lässt. Dunkle und überstrahlte Bildanteile werden getrennt aufbereitet. Das Ergebnis ist ein Gesamtbild mit einer optimalen Belichtung. Und somit die ideale Basis für die Erkennung von Gesichtern.

Praxistests haben gezeigt, dass die Gesichtserkennung in einem Bereich von ein bis drei Sekunden liegt. An dieser Stelle lässt sich darüber streiten, ob Zuschauer, die weniger als drei Sekunden auf einen Bildschirm schauen, den Inhalt oder die Werbebotschaft wirklich erfassen können und somit statistisch erfasst werden müssen.

Neben der Gesichtserkennung soll die neue Softwareversion das Geschlecht der Betrachter feststellen können. Ein Feature, das für die Zielgruppenanalyse von besonderem Wert ist und von der Xuuk-Lösung bisher nicht geleistet wird. Die gesammelten Daten stellt die Trumedia-Software in einer lokalen Datenbank zur Verfügung oder aber auch zentral abrufbar auf einem Server im Internet. Eine Gemeinsamkeit, die beide Lösungen gemein haben, ist der Umstand, dass sie keine Bilddaten aufzeichnen. Wichtig, wenn es um den Datenschutz geht.

Die Wahl des richtigen Systems
Audience Tracking wird in Zukunft für Digital-Signage-Netzwerke immer wichtiger werden. Technisch gesehen gibt es allerdings noch einige Hürden zu nehmen. Größtes Problem ist und bleibt die Beleuchtungssituation. Auf der sicheren Seite steht man nur, wenn man im Vorfeld intensive Tests durchführt. Eine Pauschlaussage lässt sich im Vorfeld kaum treffen. Darüber hinaus sollte man bedenken, dass es mit einem einzelnen System nicht getan ist. Trumedia empfiehlt bei einer Gesamtzahl von 500 Displays den Einsatz von rund 80 Tracking-System, um statistisch relevante Daten zu erhalten. Ein hohe Investition, wenn eine Kameraeinheit mit rund 1000 Euro zu Buche schlägt und dazu noch jährliche Lizenzgebühren für die Software und zusätzliche Services hinzukommen.

Pragmatisch gesehen hat Trumedia im Audience-Tracking-Bereich zurzeit die Nase vorn. Tests und Praxiserprobungen haben die Tauglichkeit von iCapture bewiesen. Auf grundsätzliche Probleme hat das Unternehmen schnell reagiert und die Hard- und Software dementsprechend verbessert. Xuuk fehlt es noch an Referenzen im europäischen und speziell im deutschen Raum. Daher kann abschließend über die Effektivität und Effizienz der Eyebox2 nur spekuliert werden. (osc)