Wenn dann ein Flug mit Lufthansa zum unglaublichen Preis von 143,80 € (Hin- und Rückflug!) dazukommt, zögert man nicht lange. Die erste Erfahrung, die man macht: Moskau besteht aus Staus! Gut 2 Stunden Flug, aber fast 2 ½ Stunden Taxifahrt vom Flughafen Vnukovo, einem der drei Flughäfen Moskaus, in die Innenstadt, sind bezeichnend. Aber eine U-bahn Strecke zum Flughafen existiert leider nicht, wobei die Moskauer Metro ansonsten gut, effizient und sehr preiswert ist: 28 Rubel (69 Cent) für die einfache Fahrt. Die Fahrweise in Moskau ist kreativ, jede Lücke wird genutzt, größere Autos und solche mit Blaulicht haben immer Recht! Parkgebühren kennt man bislang noch nicht, es wird daher auch geparkt, wo Platz ist.
Meine Reise nach Moskau anlässlich eines Vortragstermins auf einer Messe über digitale Medien hatte neben dem Messebesuch auch das Ziel, die Stadt vom Gesichtspunkt eines Einzelhandelsfachmanns aus zu betrachten. Wie stellt sich diese Metropole im internationalen Vergleich als Einkaufsstadt dar, und besonders: inwieweit haben dort im Handel bereits moderne, digitale Kommunikationsmedien Einzug gehalten?
Die Einzelhandelsszenerie ist durch eine Vielzahl von Einkaufsmöglichkeiten geprägt, alle bedeutenden internationalen Marken sind vertreten mit Shop-in-shop Systemen oder separaten Geschäften, allerdings alles auf einem sehr hohen Preisniveau. Die Geschäfte sind in Moskau die ganze Woche über geöffnet incl. am Sonntag, und meist bis spät abends. Zwar erweckt der Durchschnittsbürger nicht den Anschein, besonders modebewusst zu sein, aber bei den Jugendlichen ist das anders. Vor allem die jungen Mädchen geben sich gegenüber westlicher Mode sehr offen und zeigen sich häufig in regelrecht sexy Outfits, wobei mindestens 8 cm hohe Stöckelschuhe wohl dazugehören müssen, selbst auf Kopfsteinpflaster! Es war nicht genügend Zeit um die vielen Einkaufszentren rund um Moskau zu besuchen. Ich habe mir daher neben dem riesigen AFI Einkaufszentrum im neuen Business Distrikt vor allem die Twerskaja Straße mit ihren zahlreichen Luxusgeschäften, sowie die beiden Moskauer Vorzeige – Einkaufstempel, das GUM und das TSUM angeschaut.
Direkt am Roten Platz, gegenüber dem Kreml, befindet sich das bereits 1893 erbaute GUM, ein architektonisches Schmuckstück, besonders wenn es sich allabendlich mit akzentuierter Fassade im Lichte tausender Glühlampen präsentiert. Einst ein sozialistisches Vorzeigekaufhaus, ist es heute ein moderner Konsumtempel mit knapp 35 000m², dabei aber doch kein typisches Warenhaus, sondern vielmehr ein Einkaufszentrum mit hunderten von Einzelläden auf den drei oberen Etagen. Der Einsatz moderner, digitaler Medien in Form von Bildschirminstallationen ist hier eher selten.Nicht weit davon, gleich neben dem Bolschoi Theater, befindet sich das TSUM, ein Luxuskaufhaus der allerersten Kategorie für textile Bekleidung, Schuhe und Accessoires mit ebenfalls über 30000 m². Im Gegensatz zum GUM gibt es im TSUM keine Einzelgeschäfte. Es ist ein Warenhaus westlicher Prägung mit Shop in Shop Systemen aller weltweiten Edelmarken, aber in einheitlicher innenarchitektonischer Handschrift. Beeindruckend auch im Untergeschoß die eigene Abteilung für „pre-owned luxury cars“!
Im TSUM gibt es reichlich digitale Bildschirminstallationen, geschätzt sicherlich über 200, darunter großformatige bis hin zu 60 Zoll. Die gezeigten Inhalte – überwiegend simple Modeshows -, sowie die Positionierung erscheinen marketingtechnisch allerdings zum Teil eher fragwürdig.In der Twerskaja Straße fand ich dann in und an diversen Geschäften zahlreiche Bildschirminstallationen unterschiedlichster Art. Einfache Einzel-Bildschirmlösungen, große Outdoor Lösungen, aber auch Benetton mit seinen Mega Schaufensterinstallationen.
Interessant war hier auch eine derzeit laufende Kampagne der Marke Dove an Bus Haltestellen, bei der interaktive Bildschirme im Außenbereich eingesetzt werden.
Das Highlight in dieser Straße, allerdings nicht aus digitaler Sicht, war das berühmte Jelissejewskij, ein bereits 1901 eröffnetes Feinkostgeschäft in neobarocker Pracht, einfach schön anzuschauen auf Grund der Innenarchitektur und der ausgefeilten Warenpräsentation. Der einzelne dort vorhandene Bildschirm war eher nicht überzeugend.
In der AFI Mall, dem 2011 eröffneten und mit 180000m² größten Einkaufszentrum Moskaus mit fast 350 Geschäften und ca. 50 Restaurantbetrieben, gibt es digitale Installationen in Hülle und Fülle. Vor allem im Restaurantbereich fand sich eine Vielzahl von interessanten Beispielen. Das zeigt, der moderne Einzelhandel hat durchaus den Anschluss in diesem Bereich gefunden. Allerdings überzeugen die Inhalte häufig nicht. Man gewinnt den Eindruck, dass viele Geschäftsinhaber zu glauben scheinen, mit der Installation digitaler Werbemittel bereits genug getan zu haben, und den weiteren Aufwand für qualitativ hochwertigen Content scheuen.Eines aber ist dem Content nicht abzusprechen: die dort gezeigten Modelle präsentieren sich überwiegend attraktiv und auch mit gelegentlichem Lächeln. Dies steht im krassen Gegensatz zu der Realität des Verhaltens der meisten Verkäuferinnen und speziell des überall gegenwärtigen Wachpersonals in den Eingangs-, Rolltreppen- und Kassenbereichen. Dort scheint die Devise zu gelten: je grimmiger der Gesichtsausdruck, desto professioneller meint man sich zu verhalten!
Schade, ein Land des Lächelns wird Russland vorerst wohl nur im digitalen Bereich bleiben