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Schweiz

Eindeutig unterbelichtet - eine aktuelle DooH-Ausschreibung für Zürich

Die Stadt Zürich schreibt Werbe- und Betriebsrechte für 20 Leuchtdrehsäulen und 10 DooH-Screens aus. Doch die Screens könnten bei Tageslicht oft genug schwarz bleiben - auch wenn sie bespielt werden. Denn erlaubt sind nur 72-Zöller, deren Luminanzwert bei bloß 500 cd/m² liegen darf - lediglich dem Fünftel des für Outdoor-Installationen üblichen Werts.
Geplanter 72" Screen am Escher Wyss-Platz (Visualisierung: Stadt Zürich)
Geplanter 72″ Screen am Escher Wyss-Platz (Visualisierung: Stadt Zürich)

Wer in Zürich zeitgleich mehr als vier Tram-Bahnen sieht, die mit Außenwerbung beklebt sind, sollte den Optiker wechseln – oder einen Check-up beim Neurologen vereinbaren. Denn die Stadt an der Limmat lässt nur maximal vier von außen gebrandete Trams zeitgleich verkehren.

Man kann und soll sich auf eine Regulierung bei der Außenwerbung einigen können. Und Zürich gehört bekanntlich keineswegs zu den Städten auf der Welt, in denen man mal eben so und an jeder Ecke riesengroße LED Boards installieren kann. Im Gegenteil.

Die Stadt Zürich hat jetzt Outdoor-Werbeanlagen auf öffentlichem Grund ausgeschrieben, die Geld in die Stadtkasse spülen sollen. Gleichwohl: Die Regulierung geht in diesem Fall zu weit.

Künftig sorgt die von einer Allianz von Schwarzsehern dominierte öffentliche Meinung dafür, dass die Screens im optischen Ergebnis ebenfalls schwarz bleiben.

Es handelt sich um Sahne-Grundstücke, respektive äußerst attraktive Standplätze für Werbeträger: Welcher Werbungtreibende möchte nicht am Utoquai nahe des Bellevue auf einer modernen Leuchtdrehsäule werben? Oder am Escher Wyss-Platz – und damit unweit von Sihlquai und Limmat – auf einem modernen 72″ Screen eine Digital-out-of-Home-Kampagne starten? Oder auf einem der Screens, die am und vor dem Hauptbahnhof sowie dem Bahnhof Altstetten installiert werden sollen?

Genau hier aber liegt der Hase im Pfeffer, beziehungsweise hat die Stadt Zürich in vorauseilendem Gehorsam die Flinte ins Korn geworfen: Denn die vom zuständigen Hochbaudepartement an dieser Stelle veröffentlichten Auschreibungsunterlagen zeigen, dass die 10 neuen 72″ Screens rigiden Betriebs- und Design-Vorschriften unterliegen. Sie sehen einerseits vor, dass möglichst neutrale, anthrazitfarbene Stelen verbaut werden können – zwei double sided-Modelle am Bahnhof Stettbach, die restlichen über die Stadt verteilten acht Displays in single sided-Ausführung. Eine einleuchtende Vorschrift.

Eine technische Vorgabe jedoch ist problematisch: Erlaubt wird ein maximaler Luminanzwert von 500 cd/m² (beziehungsweise 500 nit) bei den Screens. Das entspricht nicht mal den industrieweit üblichen Vorgaben für Semi-Outdoor-Screens.

Im Prinzip wären für Outdoor 2.500 cd/m² sehr gut geeignet – allenfalls vielleicht noch 1.500 oder 2.000 cd/m² ein umsetzbarer Kompromiss-Wert. Je nach Sonnenintensität – Beispiele: ein Land im Nahen Osten, ein Screen an einer hochgelegenen Bergstation in den Alpen – werden weltweit auch Outdoor Screens mit 3.000 nit oder 5.000 nit, unter extremen Bedingungen bis 7.000 cd/m² verbaut.

Ob auf Stockholms Straßen, in einer US-Metropole oder in einer französischen Kleinstadt: Eine Outdoor-Stele unter 2.500 nit kommt in freier Wildbahn kaum vor. Aus gutem Grund: Der Nutzen einer Stele mit 500 nit geht gegen Null.

Übliches 2.500 nit Outdoor-Display (Foto: LG-MRI)
Übliches 2.500 nit Outdoor-Display (Foto: LG-MRI)

Da die für Zürich so mager eingeplanten Displays nicht lichtstark genug sind, werden sie bei Sonneneinstrahlung im Frühjahr sowie im Sommer nicht ausreichend gegen das Alltagslicht der Sonne anstrahlen können, besonders die Screens, die eindeutig niemals im Schatten von Brücken oder Hausvorsprüngen liegen werden (Beispiele: Hauptportal Hauptbahnhof Zürich, Bahnhofsquai, Altstetten).

Folge: Man sieht leider nicht, was der Screen anzeigt. Zumindest nicht, wenn man sich nicht sehr nah vor die Stele begibt und vielleicht den Blickwinkel ändert und sich noch schützend die Hand vor Augen hält, um das Sonnenlicht zu verdecken. Scheint die Sonne und läuft ein Inhalt, bleibt der Screen aufgrund der 500 nit-Regelung quasi schwarz.

Da das Design der Stelen schlicht sein soll, dürfte es auch wenig bis gar keinen Spielraum geben, die Werbe-Screens mit einem ausreichend Schatten spendenden Dach zu versehen, was wohl auch baulich unschön daher käme.

Schuld an den ungünstigen Voraussetzungen für den späteren Gewinner der Ausschreibung ist die Politik in der Schweiz. Nachdem die Stadt Zürich im vergangenen Sommer eine Akzeptanzstudie erstellen ließ (liegt der Redaktion vor), kann man aus dieser sowohl eine allgemeine Akzeptanz für digitale Außenwerbung wie das genaue Gegenteil herauslesen.

Denn während 87% der Befragten antworten „Werbung im öffentlichen Raum ist für die Stadt Zürich eine willkommene Einnahmequelle“, und 73% angeben, Werbung im öffentlichen Raum belebe die Stadt, können dagegen Gegner des Vorhabens auf die 52% der Befragten verweisen, die sagen „In Zürich hat es zu viel Werbung im öffentlichen Raum“ – oder auf jene 25%, die finden „Werbung verschandelt schöne Strassen und Plätze“.

Genau auf diese letzten beiden Punkte beruft sich die „IG Plakat | Raum | Gesellschaft“ (IG PRG). Die Initiative setzt sich nach eigenen Angaben dafür ein, „dass Plakatwerbung in Stadt und Kanton Zürich reduziert wird“. Anfang Mai machte die Bürgerinitiative Druck: mit einer Petition an den Stadtrat.

Die Argumentation der IG PRG ist ähnlich feinsinnig und progressiv, wie die von konservativen Bible Belt-Kreationisten. Kostprobe: „Aussenwerbung als Werbemedium ist in vieler [sic!] Hinsicht ein absurdes Überbleibsel aus vergangenen Zeiten.“ Zum Beleg zeigt man auf der eigenen Website Fotos eines Seepanoramas – einmal pur, ein anderes mal mit zwei 6 Sheet-Plakaten, die als Beweis für die ach so den freien Blick auf die Landschaft störenden Werbeträger herhalten müssen.

Offenbar haben die IG sowie andere politische Akteure im ansonsten wirtschaftsfreundlichen Zürich erfolgreich einen Backlash durchgesetzt. Eine Vorgehensweise, die derzeit auch in einigen kleineren deutschen Städten zu beobachten ist, Stichwort „Lichtemissionen“.

Outdoor-Stele in Stockholm mit 2.500 nit (Foto: Dynascan)
Outdoor-Stele in Stockholm mit 2.500 nit (Foto: Dynascan)

Die Ausschreibung ist für die Stadt Zürich sowie die Schweizer DooH-Branche bedeutend: zum einen als weiterer Fortschritt in Richtung Digitalisierung. Und auch ökonomisch: Denn die ab Januar 2016 bis Ende Juni 2023 vergebenen Konzessionen sollen laut den Unterlagen jährlich 480.000 Franken (die Lose 1 bis 4 für die insgesamt 20 Leuchtdrehsäulen) plus weitere 750.000 SFr (die 10 Screens, Los 5) für die Stadt bringen – das sind jeweils die Mindestgebote. Im Falle der Screens ist eine tägliche Betriebsdauer von der „Morgendämmerung bis 22:00 Uhr“ vorgesehen.

Weitere Vorgaben wirken sich auch auf den Content aus: „Die Filmsequenzen sind ruhig zu gestalten. Auf schnelle Bildabfolgen, harte Kontraste, Blitz- und Blinkeffekte sowie andere auffällige Effekte ist zu verzichten“, heißt es. Was eine schnelle Bildabfolge sein könnte, dürfte eine 40-Jährige in der Regel anders bewerten, als ein 75-Jähriger. Wann ist eine Gestaltung „ruhig“? Und wo beginnt ein Blinkeffekt in einem Bewegtbildspot? Welcher Werbefilm kommt ohne „auffällige Effekte“ aus – wenn man ihn nicht als Einschlafhilfe konzipiert? – Diverse Punkte, die schnell zum juristischen Tauziehen führen können.

Die zuständige Bauverwaltung hält „die maximale Leuchtdichte von 500 cd/m² [für] angemessen“, wie sie der invidis-Redaktion auf Nachfrage mitteilt. Das Departement argumentiert so: „Bei voller Sonneneinstrahlung wird sich die Werbewirkung zwar etwas reduzieren. Bei der Positionierung wurde jedoch darauf geachtet, dass die meisten Anlagen nach Norden ausgerichtet und keiner direkten Sonneneinstrahlung ausgesetzt sind.“ Einige Standorte befänden sich zudem im Schatten, unter Dächern oder Brücken. Wer mag, kann sich unter dem obigen Link im PDF-Dokument „Los 5“ unter dem Punkt „10 Digitale Werbeanlagen (LCD-Screens)“ die schattigen und die definitiv der prallen Sonne dargebotenen Standorte anschauen, einschließlich Renderings.

Weiterhin setzt man auf das Energiespar-Argument: „Der Stadt Zürich ist es wichtig, dass der Stromverbrauch im Rahmen bleibt und die Aufenthaltsqualität im öffentlichen Raum nicht negativ beeinflusst wird. Daher nehmen wir in Kauf, dass die Werbewirkung in einigen Fällen nicht jederzeit maximal ist.“ Dass man die maximale Helligkeit des Displays – selbstverständlich automatisch – dem Umgebungslicht anpassen kann, dürfte den Fachleuten bekannt sein. Alternative Ideen, beispielsweise Photovoltaik und Screen zu koppeln – derart kombinierte Screen Furniture gibt es in Paris und andernorts – oder LED Signage statt LCD zu fordern und fördern (weniger Verbrauch bei gleicher oder mehr Leistung), wurden offenbar nicht näher in Betracht gezogen.

Theoretisch hätte eine innovative und umweltbewusste Stadtbehörde sogar auch OLED-Screens zulassen können. Zudem: Die Ausschreibung spricht ausschließlich und nur von LCD-Screens. Es müssen also formal nicht einmal LED-hinterleuchtete LCD-Screens sein. Theoretisch wären sogar Energie- (und: Kapital-) hungrige, CCFL-hinterleuchtete Displays zugelassen. Man kann auch darüber diskutieren, ob 72″ ein übliches, oder eher ein Sonderformat für den Anwendungszweck sind. Offenbar alles egal. Hauptsache: 500 nit.

2.500 nit starke 55-Zöller am Außenbereich des Kunstmuseums Kiasma in Helsinki (Foto: imotion/ infinitus outdoor)
2.500 nit starke 55-Zöller am Außenbereich des Kunstmuseums Kiasma in Helsinki (Foto: imotion/ infinitus outdoor)

Zurück zum Umweltschutzargument: Laut Ausschreibung ist sowieso „die Stromqualität ewz ökopower (Reiner Ökostrom aus Solarstrom- und Wasserkraftanlagen) zu verwenden“. Ergo: Auch bei einem – dem höheren Luminanzwert geschuldeten – höheren Energieverbrauch würde die verwendete Energie ausschließlich aus regenerativen Quellen stammen.

Weiterhin betont die Verwaltung: „Eine Bürgerinitiative/ Interessengemeinschaft – in diesem Fall eine IG Plakat | Raum | Gesellschaft – hatte keinen Einfluss auf die Betriebsvorgaben. Die Stadt ist jedoch grundsätzlich auch der Meinung, dass wir sorgfältig mit dem öffentlichen Raum umgehen müssen und Aussenwerbung zurückhaltend eingesetzt werden sollte.“

Im Zürcher Gemeinderat sind die Politikerinnen und Politiker der Spezialkommission Hochbaudepartement, Stadtentwicklung mit dem Thema Außenwerbung befasst. Wir haben Mitglieder mehrerer Fraktionen zu erreichen versucht, die in exakt diesem Ausschuss sitzen.

Aus der Sozialdemokratischen Partei (SP) heißt es, Außenwerbung und Lichtemissionen seien in Zürich traditionell ein heißes Eisen. So könne man sich erklären, dass die in der Ausschreibung vorgesehenen schwachbrüstigen Screens von der Verwaltung in vorauseilendem Gehorsam quasi „Licht-gedeckelt“ wurden. Dass der vorgesehene Luminanzwert an der Realität vorbei geplant ist, war den Politikern bis zu unserer Anfrage offenbar nicht bewusst, beziehungsweise wurde es ihnen von Seiten der Verwaltung bislang nicht erklärt.

Und die Außenwerber? – Die invidis-Redaktion hat bei der APG|SGA und Clear Channel Schweiz nachgefragt, was sie von der Obergrenze von 500 cd/m² bei den LCD-Screens halten, die in der Ausschreibung festgehalten ist.

Die Schweizer Clear Channel will sich offenbar nicht entmutigen lassen. „Wir freuen uns sehr über die positive Resonanz auf die verschiedenen Aussenwerbeformen und darüber, dass sich die Stadt Zürich aufgrund der erfreulichen Ergebnisse entschieden hat, ab 2016 zehn digitale Screens sowie 20 weitere Leuchtdrehsäulen auf öffentlichem Grund aufzustellen. Die Stadt Zürich nimmt damit in der Schweiz einmal mehr eine Vorreiterrolle ein. Selbstverständlich werden wir uns an der Ausschreibung beteiligen“, so Anne-Catherine Rüegg, Head of Corporate Communications Clear Channel Schweiz auf invidis-Nachfrage.

Bei der APG|SGA hieß es: „Zu laufenden Ausschreibungsverfahren können und wollen wir keine Stellung nehmen.“

Übrigens: Als die IG PRG im Sommer 2013 Front gegen einen dreimonatigen Pilotversuch mit zwei (!) Screens in Zürich machte, rechnete sie akribisch aus, dass die Stadt, die in dieser Zeit auf Werbeeinnahmen aus den DooH-Spots verzichtete, theroretisch damit hätte 12.500 SFr erzielen können. Jetzt aber hat die Bürgerinitiative mit dafür gesorgt, dass es diskussionswürdig ist, ob die für die Screens veranschlagten jährlich mindestens 750.000 SFr überhaupt eingespielt werden können.

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