Wir befinden uns im Jahre 2018 n. Chr. Ganz Gallien nutzt hinterleuchtete und digitale Werbeanlagen… Ganz Gallien? Nein! Ein von unbeugsamen Galliern bevölkertes Dorf hört nicht auf, dem Eindringling Widerstand zu leisten. Und das Leben ist nicht leicht für die SOMUPI-Legionäre, die als Besatzung in den befestigten Lagern nahe Lutetia liegen …
Frankreich hat einen handfesten Skandal, der den Steuerzahler nach Medienberichten wohl einen Beitrag in Höhe von 24 Millionen bis 30 Millionen Euro kosten wird. Es geht um lukrative Außenwerberechte in der Hauptstadt Paris. Gestritten wird über Modalitäten der Vergabepraxis selbst (kompetitive und offene Ausschreibung notwendig oder nicht) sowie um den eigentlichen Sinn und Geist einer von der Politik beschlossenen Regelung aus dem Jahr 2011.
Und, Kuriosum an Rande: Nach einem ersten Urteil vor dem höchsten Gericht wird sich dieses bald erneut mit der Sache befassen. Die spinnen, die Außenwerber!, möchte man wie Obelix ausrufen.
Ginge es nicht um so viel Geld und die festgefahrene Situation, die dafür sorgt, dass am Ende wohl mehrere Verlierer aus dem Ring steigen, wäre der Mega-Zwist so unterhaltsam wie eines der Asterix-Comics von Uderzo und Goscinny. Wer hier der Gute und der Böse ist, hängt stark vom Betrachtungswinkel ab – nämlich zu welcher politischen oder Prozess-Partei man gehört. Eine Situation, die noch um einiges pikanter ist, als im Nachbarland Schweiz, das ebenfalls von vergleichbaren Klagewellen heimgesucht wurde und wird. Das Ganze findet zudem vor dem Hintergrund der Diskussion um Lichtemissionen statt, bei der LED (Lighting, LED Signage, Hinterleuchtung) derzeit wieder kritisch hinterfragt wird. Profitieren werden im Falle Lutetia – pardon: im Falle Paris – Juristen spezialisierter Kanzleien und Verfassungsrechtler oder Vergaberechtsexperten, die bald über eine neue Entscheidung in ihrem Forschungsgebiet publizieren können. Das bisherige Patt ist zudem eine Freude für die auch in Frankreich existierende Gruppe derjenigen, die die Außenwerbung reduzieren oder ganz abschaffen wollen.
Die Liste der bislang direkt oder indirekt Beteiligten liest sich wie das Who is Who der Branche: JCDecaux, Publicis, SOMUPI, Exterion Media und Clear Channel. Es treten ebenfalls auf: die Stadt Paris, Bürgermeisterin Anne Hidalgo und der Conseil d’Etat (Staatsrat), Frankreichs oberstes Verwaltungsgericht.
Im Jahr 2011 hatte die Politik in Paris eine Verordnung erlassen, die die Nutzung von Projektionen und hellen Screens in der französischen Hauptstadt regeln soll. Geht es in ihr um ein generelles Verbot oder eine Beschränkung? – Schon das ist unter den verschiedenen Parteien einer der Streitpunkte. Hier liegt die Verantwortlichkeit also bei Politik und Verwaltung: Die Regel ist offenbar nicht eindeutig genug.
Hinzu kommt die Vergabepraxis der Stadt Paris. Sie wollte eigentlich ab Frühjahr 2017 eine fünf Jahre geltende Konzession über die Vermarktung von 1.630 Stadtmöbeln an den Media Owner SOMUPI übertragen. Bei SOMUPI handelt es sich um einen Außenwerber, der zu 66% dem weltgrößten Außenwerber JCDecaux gehört. Neben dem börsennotierten französischen Konzern ist der ebenfalls große Werbe-Konzern Publicis beteiligt, dem die restlichen 33% der Anteile gehören. Sitz der Gesellschaft ist Neuilly-sur-Seine nahe Paris. Der Haken an der Sache: Es hatte keine kompetitive Ausschreibung gegeben. Außerdem stritt man sich darum, ob – wie zwischen SOMUPI und Paris vertraglich beschlossen – 15% der 1.630 Werbeträger als DooH-Screens ausgeführt werden dürfen.
Die beiden Media Owner Clear Channel und Exterion Media sahen die Ausschreibe- und Vergabepraxis als nicht rechtskonform an und klagten. Inzwischen sind drei verschiedene Urteile ergangen. Im Prinzip haben die Stadt Paris sowie SOMUPI hier verloren. Über die Details zu den einzelnen Verfahren hat Le Parisien in verschiedenen Artikeln berichtet – Links am Ende des Textes. Damit ist das gallische Drama aber noch nicht komplett erzählt. Denn nach den ersten zwei Urteilen hatten die Stadt Paris und der von ihr präferierte Außenwerber einen auf 20 Monate angelegten Übergangsvertrag geschlossen, komplett ohne Ausschreibung – also eine reine Verlängerung der bis dato geltenden Verträge. Selbstredend war die Gegenseite damit absolut gar nicht einverstanden. In diesem Jahr wird sich der Conseil d’Etat mit der Causa befassen – also die sprichwörtlich letzte Instanz.
Seit Beginn des Jahres 2018 werden die Werbeträger nicht mehr genutzt. Man wartet auf die höchstrichterliche Entscheidung des Conseil d’Etats. Neben nicht gezeigter Werbung werden dort aktuell auch keine der vorgesehenen nutzwertigen digitalen Services wie Umgebungskarten angeboten.
Für die Stadt Paris ist dies teuer: Vertraglich war vorgesehen, dass die Tochter von JCDecaux und Publicis 53% der generierten Werbeeinnahmen an die Stadt weiterreicht, mit einer garantierten Mindestsumme von 30 Millionen Euro pro Jahr. Dies ist politisch brisant, da nun eine Lücke entsteht, die laut Le Canard Enchaîné 24 Millionen Euro, laut Le Parisien sogar 30 Millionen Euro, beträgt. Berücksichtigt man zudem, dass sich die Weltstadt mit ihrem Ersatz- beziehungsweise Übergangsvertrag wohl zumindest recht lax gegen zuvor ergangene Urteile gestellt hat, wackelt damit auch der Stuhl von Paris‘ Oberbürgermeisterin Anne Hidalgo. Politische Gegner haben sich gegenüber der Presse schon entsprechend geäußert.
Das Drama in der Artikelserie des Le Parisien in chronologischer Reihenfolge: Im April hebt ein Verwaltungsbericht den auf fünf Jahre lautenden Vertrag auf (Grund: „Nichteinhaltung der für die Dienstleistungskonzession geltenden Vorschriften“); der Conseil d’Etat bestätigt das Urteil in letzter Instanz im September 2017; Anfang Dezember urteilt das Pariser Verwaltungsgericht, dass der „Ersatz“-Vertrag, also die reine Vertragsverlängerung ebenfalls illegal ist. Der Jahreswechsel bringt das bislang schlechtestmögliche Szenario für Media Owner und Stadt: 1.630 CLPs und Screens werden abgeschaltet. Bis auf weiteres. Erst die für Februar 2018 erwartete Entscheidung des höchsten Gerichts wird (mehr) Klarheit bringen.