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Digitalisierung

Die Kanzlerin, die Java-Tasse & die CeBIT

Ab dem kommenden Jahr wird die CeBIT eingestellt. Ein persönlicher Nachruf.
Die Smartphones waren groß, die Laptops schwer– aber die Monochrome-Bildschirme augenschonend wie nie wieder danach: Besucher der CeBIT im Jahr 1990 (Foto: Deutsche Messe AG / Ralf Decker)
Die Smartphones waren groß, die Laptops schwer– aber die Monochrome-Bildschirme augenschonend wie nie wieder danach: Besucher der CeBIT im Jahr 1990 (Foto: Deutsche Messe AG / Ralf Decker)

Passend zum „Welttag des Digitalen Bewahrens“ gab die Deutsche Messe AG in Hannover bekannt: Die CeBIT wird eingestellt.

Momentan ist es ja schwer in Mode, Angela Merkel für alle Unbill des Planeten verantwortlich zu machen. Selbst zur Einstellung der CeBIT raunt es in manchen Medien, die CeBIT werde eingestellt – schließlich sei die Kanzlerin ja auch schon lange nicht mehr da gewesen. Lediglich zur Hannover Messe sehe man die deutsche Bundeskanzlerin noch.

Natürlich ist das Quark. Denn die Kanzlerin war schlicht nicht mehr da, weil die Messe über die Jahre ihre Bedeutung verloren hatte. Dafür dürfte die Physikerin ein großes Gespür haben.

Vorbei die Zeiten, als man Mitte der 1980erJahre staunend um irgendwelche Nixdorf-Rechner oder Commodore Heimcomputer herumschlich, sich in unbeobachteten Momenten an die Tastatur setzte, um nach getaner Arbeit irgendwelchen – möglichst schweinischen, mindestens aber kindischen – Kram auf den Screens erscheinen zu lassen.

Auf der CeBIT konntest du über all die Jahre mal mit Marconi Ingenieuren über Satelliten quatschen, bei Compaq die neuesten Modelle  angucken, den Standbau von Hewlett-Packard bewundern oder die Schnelligkeit einer Sun SPARC testen, die du noch später an der Uni wieder für irgendwelchen Blödsinn missbraucht hast.

Natürlich war die CeBIT auch der Ort, um das hammergeile BTX auszuprobieren, das sich sowieso niemand ins Wohnzimmer gestellt hat. Und die CeBIT war die Messe, auf der jeder, der Dienst am Stand hatte, voller Furcht die Kugelschreiber-Jäger und die Tüten- und Ballons-Sammler erwartete, die regelmäßig die Hallen stürmten. Über die CeBIT freute sich die Stadt Hannover uneingeschränkt: mehr Steuern, und überhaupt Menschen, die freiwillig die Stadt an der Leine besuchen wollten. Manche Studi-WG quer-finanzierte sich über die Vermietung von Abstellkammer und Wohnzimmer an CeBIT-Besucher. Hotellerie und Gastronomie profitierten ungemein. Wer als Frau Gäste beherbergte und diese mit frischem Kaffee versorgte, war im CeBIT-Jargon eine „Messe-Mutti“. Über „Messe-Vatis“ ist nichts überliefert. Zum Glück hat sich auch das Rollenbild zwischenzeitlich ein wenig geändert.

Als jeder noch Baggy-Hosen und hässliche Frisuren trug: Handy war auf der CeBIT auch in den 1990ern ein Must-have (Foto: Deutsche Messe AG)
Als jeder noch Baggy-Hosen und hässliche Frisuren trug: Handy war auf der CeBIT auch in den 1990ern ein Must-have (Foto: Deutsche Messe AG)

Die Firmen nutzten die Umgebung, um etwa in der Orangerie rauschende Feste zu feiern. Bei manchem dieser Mega-Feste (teilweise sogar noch nach dem Platzen der Dotcom-Blase) gab es sogar richtig gutes und gesundes Essen. Für das provencalische Mahl des Jahrhunderts danken wir an dieser Stelle der längst schon eingegangenen VIAG Interkom.

Etwas Demokratischeres als die CeBIT gab es nicht: Du warst da – aber eben auch das Management irgendwelcher Palo Alto Firmen, irgendwelche COBOL-Programmierer der Deutschen Bank (Gerüchten zufolge werden die dort weiter künstlich am Leben erhalten, in einer kryonischen Truhe nahe dem Knotenpunkt DE-CIX, um im Bedarfsfall wieder reaktiviert zu werden). Und sicher auch mancher heimliche Ost-Einkäufer der verbotenen und begehrten Mikroelektronik. War eben viel Hardware, damals.

Manch Großes wurde von Prominenten vorgestellt, etwa das OS Windows 95, von Bill Gates persönlich. Richtige Nerds verlegten – bewusst oder unbewusst – gleich das endgültige Runterfahren ihres eigenen humanoiden Betriebssystems auf die Messe. Prominentestes Beispiel: Heinz Nixdorf, der am 17. März 1986 auf der Computermesse den Folgen eines Herzinfarktes erlag. Wo will man sonst auch sterben, außer vielleicht noch im Silicon Valley?

CeBIT-Gäste der Messe 1992 und ihre "Messe-Mutti" (Foto: Deutsche Messe AG / Udo Heuer)
CeBIT-Gäste der Messe 1992 und ihre „Messe-Mutti“ (Foto: Deutsche Messe AG / Udo Heuer)

Die zunehmende Digitalisierung war der Tod der CeBIT. Und der trat leider als Siechtum auf, nicht als zwar schmerzvoller, aber Schlagzeilen-trächtiger Abgang (wie etwa bei Heinz Nixdorf): Kaum einer legt heute als Privatmann so großen Wert auf Hardware, als dass er sie auf einer Messe begutachten will. Smartphone-Messen gibt es sowieso andernorts. Und den Rest erledigst du online oder im Apple Store.

Die Business-to-Business-Fraktion war auf der Messe sowieso meist schwer genervt von den Consumern. Konzepte wie das Hinzunehmen von Partnerländern überzeugten nur in Ansätzen. Und das wichtigste Argument gegen die CeBIT war schon immer die Industriemesse, die später nur noch Hannover Messe hieß. Je digitaler all die Maschinenbauer und sonstigen Industrieunternehmen und -Branchen wurden, umso häufiger und lauter wurden die Unkenrufe („Bald ist die CeBIT eh‘ tot“).

Neben all den schönen Erinnerungen bleibt mir ein Stück Hardware, das mich jeden Morgen an die CeBIT erinnert: die metallene Java-Tasse, die ich fürs heiße Rasierwasser nutze. Cut.

Nachtrag: Einen schönen Beitrag über die allererste CeBIT findet man an dieser Stelle im Blog des größten Computermuseums der Welt HNF.

Digitalisierung: CeBIT wird eingestellt, Frese geht

Das Face Time des Jahres 1988 hieß "Bildtelefon" (Foto: Deutsche Messe AG)
Das Face Time des Jahres 1988 hieß „Bildtelefon“ (Foto: Deutsche Messe AG)