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Corona-Krise

Zeitkritische Herausforderung für das Pricing

Die temporäre Umsatzsteuersenkung ab 1. Juli stellt viele Unternehmen vor Herausforderungen. Millionen von Artikel müssen neu ausgezeichnet werden, je nachdem ob und wie die Umsatzsteuersenkung an Kunden weitergegeben wird. Glücklich kann sich schätzen, wer per Knopfdruck den Preis auf ESL oder Digital Signage Screens verändern kann. Welche Optionen Einzelhändler, Gastronomen und Dienstleister haben beschreiben die beiden MM Customer Strategy Geschäftsführer und invidis-Analysten Yvonne Martini und Dr. Markus Müller-Martini.
Lange Reihen von ESL bei Rewe in München (Foto: invidis)
Lange Reihen von ESL bei Rewe in München (Foto: invidis)

Die Überraschung ist gelungen: Die Bundes­regierung hat am 3. Juni beschlossen, im Rahmen des „Konjunktur- und Zukunftspakets“ die Umsatz­steuer ab dem 1. Juli 2020 temporär bis Ende des Jahres auf 16% bzw. 5% zu senken, um die private Nachfrage anzukurbeln. Was auf den ersten Blick einfach erscheint, wirft für alle Unter­nehmen mit Privatkunden jedoch komplexe strategische und operative Fragen der Preisfindung auf, da die exakte Weitergabe der USt.-Absenkung i.d.R. eine Abkehr von bewährten Schwellen­preisen („Neuner­preise“) bedeutet. Abgerundete Brutto-Schwellen­preise reduzieren jedoch die Marge, aufgerundete Schwellenpreise geben nicht die volle Reduktion weiter und können somit unsolidarisch wirken.

Weitere Herausforderungen liegen in der Preisumstellung in der Nacht von Di, 30.6. auf Mi, 1.7.: Während der Arbeitswoche müssen Kassen­systeme und elektronische Anzeigen umgestellt, händisch umetikettiert oder neue Speisekarten erstellt werden. Der dann fällige Aufwand sowie die zu erwartenden Kundenreaktionen sollten bereits heute mitbedacht werden.

Die sofortige Erarbeitung einer Preisstrategie inkl. operativer Umsetzungsmaßnahmen ist somit erfolgskritisch, damit zum 1.7. die Preis­umstellung reibungslos funktioniert. Zusätzlich können sich Unternehmen, die die Kundenreaktionen auf Preisanpassungen korrekt antizipieren, gezielt vom Wettbewerb differenzieren und damit ihren Absatz optimieren. Bei falschen Preisentscheidungen und operativen Umsetzungsschwierigkeiten werden dagegen Umsatz- und Margenverluste in ohnehin schwierigen Zeiten riskiert.

Alle Unternehmen mit Privatkunden müssen ihre Brutto-Preise anpassen

Alle Unternehmen mit Privatkunden, also z.B. Einzelhandel, Gastronomie, Friseure und Mobilfunkanbieter, aber auch Einrichtungs- und Autohäuser, müssen ihre Endverbraucher­preise für die nächsten sechs Monate überdenken. Dabei ist zu berücksichtigen, dass die meisten Preise aus psychologischen Gründen als Schwellenpreise (z.B. €0,49, €49,99 oder €49.999) gesetzt sind und die Kunden beim Wocheneinkauf wie auch bei Handy­neuverträgen oder beim Autokauf solche Preise gewöhnt sind. Die (temporär) angepassten Preise müssen also neben der Wirtschaftlichkeit auch die Akzeptanz beim Kunden sicherstellen.

Vier unterschiedliche Preisanpassungsstrategien

Hierzu bieten sich Anbietern mehrere Optionen:

  1. Keine Veränderung der Bruttopreise: Aufgrund der reduzierten USt. erhöht sich der Netto-Verkaufspreis und somit die Marge pro Produkt für den Verkäufer. Was auf den ersten Blick aus Unternehmenssicht attraktiv klingt, kann jedoch nachfrageseitig problematisch sein: Für Geschäftskunden ist dies de facto eine Preiserhöhung, aber auch Privatkunden könnten dieses Verhalten als unsolidarisch empfinden und weniger nachfragen; schlimmstenfalls sind „Shit Storms“ und Boykotte denkbar. Diese Strategie ist somit kaum empfehlenswert.
  2. Direkte Weitergabe der USt.-Senkung durch 1:1-Absenkung aller Bruttopreise: Eine Getränkekiste zu 16,49€ inkl. 19% USt. würde mit 16% USt. 16,08€ (jeweils netto 13,86€) kosten; analog würde bei allen anderen Produkten auf den unveränderten Nettopreis 16% aufgeschlagen. Die resultierenden „krummen“ Preise wären sicher kundenseitig ungewohnt; bieten jedoch die Chance, sich als fairer, kundenfreundlicher Anbieter darzustellen. Zudem blieben die Margen pro Produkt mit Ausnahme geringer Rundungsdifferenzen auf der Cent-Ebene gleich und eine Rückanpassung zum 1.1.21 auf 19% USt. wäre transparent umsetzbar.
  3. Produktspezifische Auf-/ Abrundung auf neue Schwellen­preise: Um einen neuen „Neuner-Preis“ zu erreichen, könnte die gleiche Getränkekiste inkl. 16% USt. zu 15,99€ (netto 13,78€) angeboten werden. Der resultierende Margenverlust von ca. 0,6% erscheint in manchen Branchen verschmerzbar bzw. kann bei Investitions­gütern im Rahmen des üblichen Verhand­lungs­spielraums eingepreist werden. Bspw. im Lebensmittel­einzelhandel sind solche Rabatte jedoch substanziell. Daher könnte fallweise entschieden werden, welche Produkte auf einen Schwellenpreis abgerundet werden, der mit Inkaufnahme von Margenverlusten kleiner ist als der rechnerische Bruttopreis nach dreiprozentiger USt.-Senkung, und mit welchen Produkten versucht wird, diesen Margenverlust durch Aufrundung des neuen rechnerischen Bruttopreises auf einen etwas höheren Schwellenpreis zu kompensieren. Auf diese Weise könnte über das gesamte Sortiment die USt.-Reduzierung möglichst ohne Margenverlust weitergegeben werden.
    Neben einer solchen Optimierung über das Sortiment hinweg lässt sich bei Filialisten auch zwischen Verkaufsstellen differenzieren, da die „Mikrolage“ (lokale Wettbewerbssituation, Verkehrsflüsse, Kaufkraft) eines Standorts produkt­spezifische Preissensitivitäten beeinflusst. Margenverzicht und Abrundungen in kaufkraftschwächeren Lagen ließen sich ggf. durch weniger starke Anpassungen in kaufkraftstärkeren Lagen kompensieren. Insgesamt ist dieses Vorgehen sehr aufwendig und erfordert gute Kenntnisse bspw. von Warenkörben, kann aber zur Margensteuerung bei gewohnten (Brutto-) Neuner­preisen genutzt werden.
  4. Generelle Abrundung auf neue Schwellenpreise: Wem krumme Preise zu unkonventionell und das Austarieren von Auf- und Abrundungen zu umständlich sind, kann grundsätzlich auf neue Brutto-Schwellen­preise abrunden und somit einen zusätzlichen Rabatt geben, der natürlich entsprechend vermarktet werden muss, damit der Extra-Rabatt durch eine stärkere Nachfrage mindestens kompensiert wird. Allerdings wäre diese Möglichkeit gerade in Branchen mit regelmäßigen Rabattaktionen, wie z.B. Einrichtungshäusern, ein Weg, einen Teil der ohnehin eingeplanten Rabatte als „Konjunkturankurbler“ zu vermarkten.

Ergänzend können durch Bündelung bisher einzeln erhältlicher Leistungen (z.B. Sonderausstattungen bei Neuwagen) neue Preispunkte geschaffen werden, die aufgrund einer erschwerten Vergleichbarkeit mit den Einzelleistungen keine direkten Rückschlüsse auf Preisänderungen erlau­ben. Gleichermaßen könnten Bündel­leistungen modularisiert angeboten werden. Dieses Vorgehen ist allerdings nur in sehr wenigen Branchen ohne weiteres umsetzbar und auch hier sollten mögliche Kunden­reaktionen genau abgeschätzt werden.

Individuelle Preisanpassungsstrategie notwendig – Umsetzung ist zeitkritisch

Insgesamt gibt es keine eindeutig beste Variante; bei der Preis­anpassungsstrategie müssen diverse spezifische Faktoren berücksichtigt werden. Insbesondere ein tiefgreifendes Verständnis des Kaufverhaltens von aktuellen und potenziellen Kunden ist erfolgskritisch für die Wahl der richtigen Preisstrategie sowie deren Kommunikation. Zudem sind die rechtzeitige Planung und koordinierte Umsetzung zum 1.7. kritisch für einen reibungslosen Geschäftsablauf.

mm customer strategy verfügt über langjährige Erfahrungen in der Analyse von Kundenverhalten unter Berücksichtigung von soziologischen und (preis-) psychologischen Einflussfaktoren sowie im Projektmanagement, um fundierte, individuelle Preisstrategien schnell und pragmatisch zu entwickeln und erfolgreich umzusetzen.

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