Signage Sunday berichtet über die kleinen und großen Ereignisse der Digital Signage-Woche. Mit dem Feature blicken wir auch über den Tellerrand hinaus und beleuchten Trends und Drivers jenseits von 16:9-Signage. Signage Sunday heute.
Es gibt Geburtstage, die lassen sich nicht genau festmachen. Aber: Ab einem gewissen Alter fragt man ja allein aus Anstandsgründen nicht mehr nach. Dabei ist die Jubilarin zeitlos und mehr-dimensional wie eh und je – die Liz Taylor (oder: der Richard Burton) unter den Maschinen.
Sie ist so wandelbar. Je nach Ort, Zeitalter und Kultur: Oft hält sie unscheinbar die Stellung, auf einem zugigen Bahnsteig oder in einer dreckigen Ecke der Fabrik, bis sich endlich jemand ihrer erbarmt, ein paar Münzen einwirft, um Paprika-Chips, Schoko-Kekse oder süße Brause zu ziehen. In manchem Industriebetrieb sogar Bier für gewerbliche Arbeitnehmer (oder den Geschäftsführer, der abends extra dafür in die Werkshallen hinab steigt).
Andernorts steht sie da wie eine stolze Filmdiva, in sorgfältig ausgewählter Garderobe, interagiert via Touchscreen und Spracheingabe mit dem Publikum; freundlich und doch unnahbar. Nach ihrem oft von Medienrummel begleiteten Pop-up-Auftritt, bei dem sie vielleicht personalisierte Produkte wie rare Sneakers mit Laser-Gravur lieferte, geht sie weiter auf Tour.
Es gibt und gab eigentlich nichts, was eine Vending Machine nicht schon ausgespuckt hat: gebrauchte Autos, vegane Haute Cuisine, Briefmarken, Medikamente, Überraschungspakete mit elektronischem Spielzeug, knallbunte Kaugummis oder fettige Fritten und Frikandeln sind nur einige der Waren und Güter. Wer sich redlich müht, wird sicherlich auch eine Vending Machine finden, die Vending Machines ausgibt – 3D-Druck sei Dank.
Klar, sie ist ein Symbol für Kapitalismus in Reinform. Nichts ist ihr heilig: Die erste überlieferte Vending Machine war ein Weihwasser-Automat, den Heron von Alexandria konstruierte. Irgendwann und höchstwahrscheinlich im ersten Jahrhundert n. Chr. – viel genauer lässt sich das nicht eingrenzen. Beschrieben hat Heron die Erfindung in seinem Werk Pneumatika.
Sie steht natürlich auch für Rationalisierung und 24/7 Service – das erste vollautomatisierte Quick Service Restaurant (QSR) der Welt wurde 1897 in der Berliner Friedrichstraße eröffnet, Name: AUTOMAT. Vater des Gedankens war Max Sielaff, der am 9. Juni 1887 das Patent für seinen „Selbstthätigen Verkaufsapparat“ einreichte, das im April 1888 vom Kaiserlichen Patentamt unter der Nr. 43055 eingetragen und erteilt wurde. Schnell entwickelte sich eine Restaurant-Kette von 100 AUTOMAT-Restaurants. Die wurden später leider dichtgemacht.
Grund: Die Nationalsozialisten wollten diese QS-Restaurants deshalb nicht, weil sie aus ihrer Sicht Arbeitsplätze wegnähmen, so der jüngste Enkel des Erfinders, Berdardo Friese, im Interview mit invidis. Zahlreiche detaillierte Informationen allein zu diesem Aspekt der Geschichte der Vending Machines finden sich übrigens auf Frieses sehr lesenswerter Website. Der VM-Hersteller Sielaff existiert übrigens heute auch noch, allerdings nicht mehr mit Sitz in Berlin, sondern in Bayern. Und die Idee der vollautomatisierten Quick Service Restaurants blieb nicht auf Europa beschränkt, sondern fand schnell Nachahmer: 1902 eröffneten die Herren Horn und Hardart ihre VM-Coffeeshop-Kette „Automats“ in den USA.
Die Vending Machine war schon immer zahlungsmittel-agnostisch: Münzen, Scheine, Kreditkarten mit und ohne Chip oder Magnetstreifen oder Contactless Payment lässt sie ebenso gelten wie Bitcoin und Co. Hauptsache, der Betrag stimmt.
Leidensfähigkeit ist eine ihrer Eigenschaften: Ganze Generationen von Schülerinnen und (zumeist:) Schülern arbeiteten sich an ihr ab, probierten den neuesten Karate-Move an dem zumeist dunkelbraun daherkommenden Automaten aus. Schaute das gestresste Lehrpersonal oder der strenge Hausmeister gerade nicht vorbei, versuchte man sich am Hardware-Hacking (Stoßen, Rütteln oder Ziehen) oder an Beschwörungsformeln („komm‘ schon, lieber Automat“), um für umme an einen Becher Heiße Schokolade, Zitronentee oder Fleischbrühe zu kommen.
Das daraus resultierende, stets uneingelöste Geschmacks-Versprechen hat Douglas Adams im Hitchhiker’s Guide to the Galaxy bereits 1979 eingehend gewürdigt: „He had found a Nutri-Matic machine which had provided him with a plastic cup filled with a liquid that was almost, but not quite, entirely unlike tea.“ Bei Adams findet sich auch der Hinweis, dass man die Künstliche Intelligenz (KI) des Raumschiffes nicht damit beschäftigen sollte, den exakten Geschmack von Tee zu berechnen – da dies mitunter zur Zerstörung des eigenen Sternenkreuzers führen kann.
Zurück auf die Erde: Nach der fiktiven Sirius Cybernetics Corporation, der Herstellerin des ebenso fiktiven wie galaxie-weit unbeliebten Nutri-Matic Drink Dispenser (NMDD), haben auch reale Software- und Big Data-Riesen den Charme von Smart Vending Machines erkannt – und die integrierte eierlegende Omnichannel-Wollmilch-Sau erfunden. Andere wiederum entschleunigen das Ganze für einen Werbegag, damit in ihrer super-langsamen Maschine die Kartoffelchips frisch zubereitet werden. Echtes Slow Food aus einer VM gibt es natürlich sowieso schon.
Vending Machines sind selbst bei Schlapphüten und Generälen ein Thema: Vor der geplanten Invasion in Panama 1989 ließ der US-Militärgeheimdienst DIA zeitweise zahlreiche Getränkeautomaten in den eigenen Kasernen in Panama abbauen. Sie galten als beliebter Treffpunkt von Stabsoffizieren, die dort bei einer eiskalten Coke über die Aktion hätten sprechen können. Was die an den Stützpunkten ebenfalls stationierten Militärs von Diktator Noriega sicherlich interessiert hätte (Bob Woodward, The Commanders, 1991). Fun Fact am Rande: Die US-Armee wiederum kennt seit dem Zweiten Weltkrieg den – inoffiziellen – Coca Cola Colonel.
Die bislang seltsamsten Vending Machines der Welt spucken kleine Kistchen aus, die „verstörende Geschichten“ enthalten, wie ein Reporter der Deutschen Welle es umschreibt. Sie stehen in dem Land, das mit einem Verhältnis von 1:35 die höchste Vending Machine pro Einwohner-Dichte aufweist: Japan. Dort waren im Jahr 2016 exakt 3.648.600 Vending Machines in Betrieb.
Geben und Nehmen: Manche Vending Machine will nicht bloß Geld, sondern nimmt auch wiederverwertbare Produkt-Umverpackungen entgegen, anstatt zusätzlichen Plastikmüll auszugeben. Und das ganz oft nicht in Metropolen wie Tokio, sondern auf dem platten Land. Sie ist zwar keine echte Kuh (die steht oft im Stall nebenan), aber streicheln dürfen Sie die kleine Milchtankstelle für ihre Nachhaltigkeit schon. Muss ja keiner zuschauen – so wie damals in der Schule.