Die Nachrichten könnten kaum schlechter sein, die meisten westlichen Retailer haben ihr Russlandgeschäft abgewickelt, Russland ist vom globalen Finanzsystem abgekoppelt und die Tech-Elite hat das Land fluchtartig verlassen. Und doch besteht immer noch eine überraschend hohe Nachfrage nach Digital Signage-Lösungen.
Die Erklärung ist recht einfach: Viele westliche Retail und Restaurantketten wurden von russischen Unternehmern übernommen und werden nun unter neuem Namen weitergeführt. Am bekanntesten ist sicherlich McDonalds, die von einem bisherigen Franchisenehmer unter neuem Logo weitergeführt wird. Digitale Menüboards und Order-Kioskterminals werden also weiter benötigt.
Für die im Markt verbliebenen ausschließlich russischen Digital Signage-Integratoren brachten die Eigentümerwechsel und Rebrandings eine Sonderkonjunktur. Auch wurden teilweise CMS-Plattformen ausgetauscht, obwohl der Großteil, wenn auch ohne aktiven Support und Updates, weiter auf den etablierten CMS läuft. In Russland hatten sich cloudbasierte Subscription-Geschäftsmodelle nie durchgesetzt, sodass ein lokaler Weiterbetrieb ohne größere Einschränkungen erstmal möglich ist.
Doch die Nachfrage nach Neuprojekten ist spürbar eingebrochen – bei einem Rückgang der Wirtschaftsleistung (BIP) im höheren einstelligen Prozentbereich und den stetig verschärften Wirtschaftssanktionen keine Überraschung.
Herausforderung Hardware-Verfügbarkeit
Frei nach dem Motto „Wo ein Wille ist, ist auch ein Weg“ sind auch ein Jahr nach Kriegs- und Sanktionsbeginn professionelle Digital Signage-Komponenten erhältlich. Bei vielen kleineren Händlern und in mittelständischen Corporate-Anwendungen werden Displays von in Europa weitestgehend unbekannten chinesischen Marken eingebaut. Auch die in Russland dominierenden Android-Mediaplayer werden aus China importiert.
Anders sieht es mit Premium-Hardware von Samsung, Sharp/NEC und PPDS aus. Die russische Regierung hat zur Umgehung der Sanktionen den Parallelimport ermöglicht. Dazu verkaufen Zwischenhändler ohne Genehmigung der großen Displayhersteller in Europa aktuelle Hardware nach Kasachstan, Armenien, Georgien oder die Türkei. Immer häufiger werden auch A-Brands direkt über China angeboten.
Über die Umwege des Parallel-Imports erhalten Digital Signage-Integratoren und Endkunden Zugriff auf neue Hardware mit aktuellen Computerchips. Das funktioniert noch einigermaßen, ist aber viel teurer und ineffizienter als der direkte Import. Der Westen versucht nun allerdings vermehrt, mit Sekundärsanktionen auch den Import über Drittländer zu verhindern.
Braindrain – IT-Elite hat Russland verlassen
Neben Öl und Gas war die IT-Branche bis zum Kriegsbeginn der Stolz der russischen Wirtschaft. Mit Yandex – dem Google Russlands – und Kaspersky – einem der weltweit führenden IT-Security-Anbieter – waren einige russische IT-Größen weltweit als Innovationsführer etabliert. Doch der Krieg und die Teilmobilisierung hat mit einem Schlag alles verändert.
Der IT-Sektor wurde sehr stark durch die Sanktionen getroffen – und durch einen Braindrain. Mit der Teilmobilisierung sind viele Zehntausende hochqualifizierte IT-Spezialisten aus dem Land geflohen. Und mit großer Wahrscheinlichkeit komme diese häufig in die Türkei, Israel und nach Osteuropa ausgewanderten Spezialisten auch nicht mehr zurück. Die Digital Signage-Branche ist doppelt vom Braindrain betroffen, neben IT/ProAV-Experten sind auch sehr viele (Digital-)Kreative ausgewandert.
DooH – Einbruch des Werbemarktes
Während der Werbemarkt 2022 in Russland wohl weniger als 10 Prozent einbrach, sieht es bei DooH nicht besser aus. Es fehlen noch verlässliche Zahlen zum Gesamtjahr, aber mit dem Marktausstieg der meisten großen westlichen FMCG-Marken, dem Rückzug aller großen europäischen Retailer und dem Ende der Autobranche nach westlichem Vorbild wurden viele Werbebudgets weggespült.
Nationale Finanzdienstleister, Versicherungen und die öffentliche Hand werben mehr denn je, doch primär online und weniger im öffentlichen Raum.