Einen weiten Weg ist die Digital Signage-Industrie gekommen. Während zu Beginn der Verkauf der Hardware im Fokus stand, ist die Branche heute im Lösungsgeschäft tätig. Ausgefeilte Instore Experiences sind mit Silo-Denke nicht mehr zu realisieren – ein ganzheitlicher Ansatz muss her. Customer Journeys werden kanalübergreifend geplant – ganz neue Anforderungen an Integratoren, Architekten und Markenverantwortliche.
Dabei wandert die Wertschöpfung zu Software- und Serviceanbietern, die bisher den Markt dominierende Hardware verliert an Bedeutung oder wird austauschbarer. Garantieverlängerungen, Refurbishment bis hin zu Finanzierung – rund um die Hardware bieten die meisten Hersteller heute ein breites Angebot an Lifecycle-Upgrades und Serviceleistungen. Die Zusatzangebote können teilweise den Verfall der Durchschnittspreise aufhalten.
Die Plattform soll es richten
Inmitten dieser Markt-Verschiebungen dominierte Anfang 2024 auf der ISE ein Thema: der Launch von Samsung VXT. Der Display-Weltmarktführer startete nach langer Vorbereitung eine von Grund auf neuentwickelte Digital Signage-Plattform. Die Visual Experience Platform soll weit mehr als nur ein moderner Nachfolger für das Magicinfo-CMS sein – Samsungs erster Aufschlag als Softwareanbieter, um das Hardwaregeschäft zu ergänzen.
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VXT ist nun keineswegs der Nachfolger des CMS Magicinfo. Mit der neuen Lösung betritt Samsung mal wieder Neuland. Die globale Plattform ist primär kein CMS, sondern eine offene Technik- und Vertriebsplattform mit Appstore. Samsung öffnet damit den Digital Signage-Markt – für neue Endkunden, aber auch für alle Anbieter. Ob unabhängige Softwareentwickler (ISVs), Integratoren mit eigener CMS-Plattform oder (Retail-)Techanbieter: Alle sollen ihre Lösungen und Services weltweit einfach zugänglich machen. Nicht weniger als die Demokratisierung von Digital Signage ist das Ziel – die Wandlung zu einem Massenmarkt. Dabei allgegenwärtig: das Konzept der Plattform-Ökonomie.
Plattform-Ökonomie als Basis
Die Grundidee von Software-Plattformen ist einfach: Eine offene Umgebung bietet durch standardisierte Schnittstellen Drittanbietern die Partizipierung und die Erweiterung des Systems.
Gleichzeitig bieten digitale Plattformen Zuverlässigkeit, werden von vertrauten Unternehmen betrieben und fördern Loyalität. Je mehr Nutzer auf einer Plattform aktiv sind, desto mehr profitieren alle Marktteilnehmer – der sogenannte Netzwerkeffekt. Typische erfolgreiche Plattformkonzepte sind Amazon, Uber oder Booking. Alles Synonyme für ihren jeweiligen Markt – die vielen Anbietern Zugang zu sehr vielen Kunden ermöglichen.
Laut einer Studie der Harvard Business School, des MIT und der University of Surrey aus dem Jahr 2019 erzielten über 20 Jahre die Top 43 der börsennotierten Plattform-Anbieter jeweils eine fast doppelt so hohe Wachstumsrate, doppelt so hohen Unternehmensgewinn und eine verdoppelte Unternehmensbewertung wie die 100 größten Unternehmen derselben Branchen – allerdings mit nur der Hälfte der Mitarbeiter.
Globale Plattformen nötig?
Um Digital Signage der großen Masse an Unternehmen anzubieten, braucht es nicht nur aus Sicht von Samsung einige wenige globale Plattformanbieter. Und wer, wenn nicht die großen Displayhersteller sind prädestiniert dafür, solche Vertriebs- und Technikplattformen aufzubauen.
Im Gegensatz zu den in der Branche vorherrschenden Sorgen soll VXT nicht andere CMS verdrängen, sondern sie besonders effizient einer weltweiten Kundschaft auf Knopfdruck zur Verfügung stellen. Das VXT Content-Management-System und die VXT Remote-Device-Management- Lösungen sind dabei nur eine App unter Hunderten.
Große installierte Basis notwendig
Unabhängige Softwareanbieter kennen die Herausforderungen – die Entwicklung von Software und der Support sind aufwendig und benötigen ausreichend Skalierung. Eine Neuentwicklung kostet zwischen ein und zwei Millionen Euro und ist alle zehn Jahre notwendig. Der Entwicklungsaufwand sollte über eine breite Basis an Nutzern beziehungsweise Abonnenten verteilt werden. Unter 100.000 aktiven Standard-Lizenzen zwischen 10 und 15 Euro Kosten sind heute Softwareplattformen kaum noch langfristig erfolgreich weiterzuentwickeln.
Große Unternehmen, die globale Plattformen aufbauen, können das bestehende Geschäft nutzen, um auf die notwendigen Nutzerzahlen zu kommen und gleichzeitig neue Leads zu generieren.
Limitation von Plattformen
Plattformen funktionieren am besten in hochstandardisierten Angeboten, die leicht vergleichbar sind. Digital Signage ist heute noch das Gegenteil – komplex, wenig standardisiert und eine ungewöhnliche Mischung aus Technologie und Content. Für komplexe, weltweite Enterprise-Ausschreibungen sind Plattformen nicht das richtige Vertriebsmodell. Aber insbesondere im Einstiegsbereich sind einfach zugängliche Lösungen im Vorteil. Intuiface beweist seit Jahren, wie eine niedrige Eintrittshürde mittels No-Code-CMS auch zu großen Projekten führt. Auch Telelogos – das im SAP Appstore vertreten ist – profitiert vom einfachen Zugang und der Zertifizierung durch den ERP-Giganten.
Plattformen wie Samsung VXT oder der Prostore von PPDS automatisieren den Vertriebsprozess und bringen neue Leads. Natürlich werden Plattformgebühren bei Vertragsabschluss fällig, aber
andere Vertriebskänale kosten deutlich mehr.
Technische Standards fördern
Neben dem Geschäftsmodell bringen Plattform-Modelle auch eine Standardisierung von Schnittstellen. Nicht nur Samsungs eigene SoC-Plattform – es ist davon auszugehen, dass nur Partner mit nativer Tizen-Unterstützung für die Plattform freigegeben werden –, sondern auch andere Branchenschnittstellen zu Remote Device Management, Analytics, Bezahldienstleistern sowie Service und Support könnten standardisiert werden.
Ein Vorteil für die Branche, wenn zukünftig zunehmend gut dokumentierte und gepflegte Open-APIs genutzt werden und weniger Sonderlösungen entwickelt und gepflegt werden müssen.
Neben Samsung Tizen, LG WebOS, ChromeOS und Windows besteht die Hoffnung auf eine standardisierte Android- und Linux-Schnittstelle, anstelle von heute Dutzenden. Weniger Schnittstellen als die heute noch weit über einhundert wären begrüßenswert. Allein die schnell steigenden IT-Security-Anforderungen erfordern wenige, dafür sichere und zertifizierte Protokolle und Schnittstellen.
Die großen Service-Cloudanbieter Amazon (AWS), Microsoft (Azure) und Google (Cloud Platform) sorgen auf Anbieterseite schon für eine zunehmende Standardisierung und könnten selbst als Vertriebsplattform agieren. Schon heute erzielen Digital Signage-Anbieter erheblich höhere Conversion-Rates, wenn Kunden die gleichen Servicecloud-Plattformen nutzen.
Samsung als Vorreiter
Zurzeit ist Samsung der erste Digital Signage-Anbieter, der seine Plattform weltweit aktiv anbietet. Andere Visual-Solution-Anbieter wie PPDS (Philips) und LG haben ähnliche Konzepte in der Entwicklung. Fast alle relevanten Display- und LED-Anbieter arbeiten an Remote-Device-Management- Lösungen, einige Anbieter auch an oft rudimentären CMS-Lösungen. Doch das große Plattformgeschäft werden nur eine Handvoll Anbieter aufbauen können. Durchsetzen werden sich nicht alle.
Außerhalb der Digital Signage-Branche könnten Adobe mit der Experience Cloud, IT-Anbieter, wie Salesforce, SAP und Oracle, oder Microsoft und Google in den Markt einsteigen. Aber erstmal beobachtet die Branche, wie sich Samsung VXT am Markt schlägt – und sich das Plattform-Modell in der Industrie bereits durchsetzt.