Wir stecken mitten im Wahlkampf. Daher strahlen uns von Sylt bis Berchtesgaden, von Frankfurt/Oder bis Saarbrücken die Granden des deutschen Politikbetriebs von Plakaten und digitalen Medien herab an. Der öffentliche Raum ist ein Raum der Meinungsbildung, der Visualisierung von Haltung, von Diskurs und von Werbung. Politikerinnen und Politiker werben um die Gunst von Wählerinnen und Wählern. In der dunklen Jahreszeit leuchten uns ihre Gesichter, Logos und Slogans entgegen, bieten Orientierung, schaffen Abgrenzung und erzeugen Widerspruch. Sichtbar für alle, ob gebildet oder ungebildet, arm oder reich, interessiert oder uninteressiert, rechts, links oder gemäßigt.
Digital Signage & DooH: Die invidis Jahreskommentare 2024/2025
Kommunikation politischer und gesellschaftlich relevanter Themen auf der Agora – dem Marktplatz des antiken Athen – hat Tradition: Schon Solon, einer der Überväter der Demokratie, hat seine Gesetze auf Tontafeln ausgestellt, damit sie jeder sehen kann. Die Litfaßsäule, die 2025 ihren 170sten Geburtstag feiert, war einst ein Werbe- und Informationsmedium, das Plakate mit Bekanntmachungen, Verordnungen und Nachrichten trug.
Was „da draußen“ wichtig ist
Wahlkampfwerbung dort, wo die Menschen sind, ist ein wesentlicher Bestandteil unserer Demokratie, eine Säule unserer Gesellschaft, die immer wichtiger wird, denn einschlägige Studien aus Publizistik- und Politikwissenschaft zeigen, dass sich vor allem junge Menschen lieber durch Beifang auf Tiktok, Instagram & Co. ihre Meinung bilden als durch Nachrichtensendungen und Zeitungen. In Sozialen Medien kriegen sie das, was ihnen der Algorithmus vorgibt, und das ist das, was sie scheinbar präferieren.
Diese Selbstzensur erzeugt einen Tunnelblick, der widerstreitende Argumente gar nicht mehr zulässt. Nicht selten werden Fake News und Propaganda in den Feed gedrückt, in eine mediale Scheinwelt, die mit dem, was im echten Leben „da draußen“ wichtig ist, wenig zu tun hat.
Das echte Leben findet auch im öffentlichen Raum statt. Im Positiven wie im Negativen wird man hier mit Positionen konfrontiert, die man nicht teilen muss, sie zur Kenntnis zu nehmen und sich an ihnen zu reiben, schadet aber nicht. Das Wesen des öffentlichen Marktplatzes der Meinungen ist: spontan, unübersehbar, unumgehbar, nicht swipebar. Und man kann die politischen Botschaften an dem referenzieren, was man hier tagtäglich erlebt: Funktioniert der ÖPNV? Stört mich die nette afrikanische Familie mit den süßen Kindern an der Haltestelle? Ist der Krawattenträger, der da gerade aus seinem Benz steigt, wirklich der Teufel? Bin ich bereit, für den Döner 8 Euro 50 und für den Liter Super zwei Euro zu bezahlen? Mediale Kommunikation im öffentlichen Raum bietet immer auch einen unmittelbaren Realitäts-Check. Toll, dass es so einen Marktplatz der Meinungen gibt.