Das jüngst abgelaufene Jahr 2019 war eindeutig das Jahr der Sportartikel Flagshipstores. Ein Wettrennen von Nike, Adidas, Puma & Co um die innovativsten Flagshipstores. Ohne App geht heute nichts mehr – die Customer Journey beginnt weit vor dem Store und endet hoffentlich nie. Absoluter Vorreiter bei den globalen Sport Brands ist Nike mit dem House of Innovation Konzept, das nach der Weltpremiere in Shanghai nun seit Ende 2018 auch an der 5th Ave in New York zu erleben ist.
Schräg gegenüber hat Puma ein Flagship eröffnet, der weniger durch Apps als mit einer virtuellen Fußballexperience Schlagzeilen macht. Das Einkaufserlebnis bei Adidas 5th Avenue fällt dagegen spürbar ab – der Store wurde noch nach einem alten Konzept erstellt. Das Adidas mit seinem Flagship ebenfalls Experiences kann, zeigt der neueste Store in London. Seit September präsentiert sich die Weltmarke mit den drei Streifen an der Oxford Street gegenüber von Selfridge in einer historischen Immobilie.
London – Digital und lokal: Adidas Flagship mit 105 digitalen Touchpoints
Sportswear: Nike eröffnet ersten House of Innovation Flagshipstore in Shanghai
Puma Flagship New York City: Phygital Experiences mit unsichtbarer Technologie
invidis war kurz vor Weihnachten in London vor Ort und hat sich umgeschaut. Mit über 100 digitalen Touchpoints ist der vierstöckige Store mehr als nur ein Markenschaufenster. Hier müssen Umsätze erzielt, Produkte erlebt und Services genutzt werden, aber auch Spiel und Spaß dürfen nicht fehlen.
Viele Marken und Retailer versprechen mit neuen Flagshipkonzepten den Point of Sale neuerfunden zu haben, Adidas hat tatsächlich geliefert. Auch wenn an der einen oder anderen Ecke etwas dick aufgetragen wird, der Großteil der Touchpoints ist gut umgesetzt. Die Verteilung im Store erscheint sinnvoll und das Konzept bietet einzigartige Shopper-Aktivierungen sowie Erlebnisse, die es so bisher nirgendwo anders zu erfahren gibt.
Wir hatten die einmalige Gelegenheit, den Adidas LDN an zwei Tagen hintereinander zu erleben – sowohl vor als auch nach einem nächtlichen Umbau für den Launch ein neuer Schuhkollektion (Ultra Boost 20). So konnten wir sehen wie flexibel das neue Flagshipkonzept in der Praxis wirklich ist, eine große Herausforderung an der Wettbewerber Nike noch knabbert.
Der Eingangsbereich ist die große Bühne für Adidas – umrandet von deckenhohen LED-Wänden werden hier Produktlaunches zelebriert. Visual Merchandiser haben Platz um sich auszutoben – zum Release der Weltraum-inspirierten Super Boost 20 landete ein Raumschiff im Eingangsbereich, die LED-Wände verwandelten sich in digitale Mondlandschaften.
Am auffälligsten war die Verwandlung des digitalen Football Pitch. Am Tag vorher noch konnten Besucher des Flagshipstores auf einem LED-Fußballfeld gegen den Computer antreten, gesteuert von acht Microsoft Kinect Sensoren der neuesten Generation. Ein Tag später war die Fläche mit Laufband-basierten Schwerelosigkeits-Simulatoren ausgestattet. Die LED-Flächen liefern die Mondatmosphäre und von der Decke abgehangene Retail-Systeme präsentieren die passende Fashion Kollektion. Adidas nutzt hierfür das Visplay Multilane System, in das auch Strom und Netzwerk integriert werden kann.
Neben Launch Area und Gamifikation befindet sich im Erdgeschoß aber noch ein weiteres Hype-Thema: Nachhaltigkeit. Adidas Parley ist eine Kollektion, die recyceltes Plastik wiederverwendet. Ein sehr wichtiges Thema, nicht erst seit Greta und auch nicht limitiert auf die Gen Z. Adidas hat sich auf die Fahne geschrieben bis 2024 nur noch recyceltes Plastik in der Produktion einzusetzen. Allerdings sind Kunden noch nicht bereit, dafür einen Aufpreis zu zahlen. Im Flagshipstore in London wird großflächig auf LED und anhand von mit Plastikresten gefüllten Wänden das Umweltengagement präsentiert.
Ökologische Gesichtspunkte spielen auch bei der Wahl der eingesetzen digitalen Technologien eine Rolle. So wird nicht nur ausschließlich Ökostrom eingesetzt, auch die Entscheidung für Translucent LED im Schaufenster wie auch im Atrium fiel nicht nur aus Designgründen.
Auf den anderen Etagen gibt es ebenfalls zahlreiche interaktive Touchpoints. Für das Marketing am wichtigsten ist das MakersLab. Hier können Kunden nicht nur Adidas-Trikots beflocken lassen, sondern auch im Store erworbene Schuhe und Kleidung mit Aufnähern personalisieren. Regelmäßig lädt Adidas lokale Künstler ein, die vor Ort Adidas Produkte in Kunstwerke verwandeln.
Für uns sind zwei Touchpoints relevanter – die voll digitalisierten Umkleiden in der Herrenabteilung und die Sneakerbar im Untergeschoß. Die intelligenten Kabinen sind mit Smart Mirrors ausgestattet. Kunden können die mit RFID-ausgestatte Ware einfach an den Spiegel halten und werden dann mit zusätzlichen Infos zum Produkt versorgt und sehen anhand von Echtzeitdaten zugleich, ob die passende Größe verfügbar ist. Noch aus der Kabine kann anschließend auch ein Mitarbeiter angefordert werden, der die passende Größe oder Farbe an die Umkleide liefert. Hier haben Marken wie Adidas einen immensen (Daten- und Content-)Vorsprung gegenüber Multi-Brand Retailern. Allerdings ist auch bei Adidas nicht alles perfekt – beim invidis Test waren zu einigen Adidas Produkten keine Informationen verfügbar, obwohl die Daten im Onlineshop eingepflegt waren. Auch die Geschwindigkeit der Applikationen in der Kabine, wie auch bei vielen Touchscreens im Store, ist von einem perfekten Joy of Use noch weit entfernt. Augenscheinlich war die Geschwindigkeit der Internet-Anbindung nicht ausreichend.
Ein Highlight für Besucher ist ein ausgewählter Fittingroom, der mit einem 98“ Display ausgestattet ist. Hier können über ein separates Touchdisplay Hintergrundszenen für das Digital Signage Display ausgewählt werden – einziger Use-Case sind allerdings Selfies. Quasi instagramable Moments in einer Ein-Quadratmeter kleinen Umkleide. Die Technik kommt von Avery Dennison (RFID), Detego Software, Pyramid Computer und Nordic ID.
Ein weiteres – wenn auch sehr analoges – Experience ist die im Untergeschoß untergebrachte Sneakerbar. Kunden können hier auf Frisörstühlen Platz nehmen und kostenlos die eigenen Sneaker von außen putzen lassen. Wer mehr möchte kann die Schuhe gegen Gebühr innen und außen auf Vordermann bringen lassen. Auch für den Sporthandel ungewöhnliche Dienstleistungen wie Anprobe- und Schneider-Termine sind bei Adidas LDN möglich.
Ein Flagshipstore im Jahr 2020 wäre kein echter Leuchtturm, wenn Kunden sich nicht auch im Store mit einer Store-App zusätzliche Informationen und Services abrufen könnten. Per AR-Bilderkennung kann der Kunde mit seinem Smartphone ausgewählte Kollektionen im Store scannen und in seiner Größe bestellen. Mitarbeiter bringen dann umgehend den gewünschten Artikel – die Position des Kunden erkennt der Mitarbeiter auf seinem Tablet – sofern der Kunde sich nicht vom Regal entfernt hat. Natürlich kann die Ware dann auch direkt gekauft werden, ohne sich an einer Kasse anzustellen.
Aus Digital Signage-Sicht relevant sind auch die LED-Elemente die in die Fußballschuh Warenpräsentation integriert sind. Storytelling am POS ist besonders bei emotionalen Produkten wie Fußballschuhen wichtig. Weniger gelungen sind die Projektionen auf Mittelraummöbel oder auf die graue Schuhwand. Adidas setzt dabei auf Lichtschienen-basierte Projektoren mit limitierter Helligkeit. Kunden erwarten hier Interaktion – einfache Projektion reicht heute nicht mehr aus.
Aber uns gefällt der Flagshipstore, da er sehr vielfältig Digital Signage einsetzt und die unterschiedlichen Bedürfnisse von Sneaker Heads, Fullballfans oder Fashionistas abgedeckt werden. Außerdem beweist das Storekonzept seine hohe Flexibilität auch in der Praxis. Sicherlich werden wir viele Elemente in Zukunft in anderen Flagships aber auch bei Multibrand Retailern wiederfinden.