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Warum Online-Marken offline gehen

Düsseldorf | Schon seit Jahren wird der stationäre Handel für tot erklärt. Aber während mehrere bekannte Einzelhändler tatsächlich zugemacht oder Filialen geschlossen haben, investieren immer mehr ursprünglich rein digitale Marken in stationäre Flächen, um ihr Online-Angebot zu ergänzen. Digital Signage ist dabei Verbindungsglied zwischen den Welten.
Online goes Offline - Eobuwie Store in Polen (Foto: Eobuwie)
Online goes Offline – Eobuwie Store in Polen (Foto: Eobuwie)

In einem von JLL Ende 2018 veröffentlichten Bericht erwartet der Immobilienberater sogar voraus, dass Online-Einzelhändler in den USA über die kommenden fünf Jahre 850 Filialen eröffnen werden. Das zeigt den Wert, den diese Marken auf eine physische Präsenz legen. „Jeder behauptet, dass der stationäre Handel stirbt, aber die E-Commerce Marken drängen ziemlich schnell und aggressiv in den stationären Bereich“, sagt Taylor Coyne, Forschungsleiter Bereich Retail bei JLL, in dem Bericht.

Trotz weiter steigender Online-Umsätze bevorzugt die Mehrheit der Verbraucher noch immer das Einkaufserlebnis im Store und mehr und mehr ursprünglich digitale Marken nutzen den stationären Handel zu ihrem Vorteil.

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Online und Offline: Das Beste aus beiden Welten

In den USA hat Warby Parker, der Online-Anbieter für Brillen, seine erste stationäre Fläche 2013 eröffnet (drei Jahre nach seiner Gründung) und betreibt mittlerweile über 90 Läden in den USA und Kanada. Er wird oft beispielhaft als eine der ersten rein digitalen Marke angeführt, die verstanden haben, dass sich Online und Offline als Kanäle ergänzen.

Erst kürzlich hat das erst nur online agierende Beauty-Unternehmen Glossier mit seinen Pop-Up Shops, Showrooms und dem Flagship Store in New York für weltweites Aufsehen gesorgt. Es wurde als Disneyland für Erwachsene bezeichnet, das ein außerirdisches Einkaufserlebnis bietet.

Selbst Online-Gigant Amazon – der Erzfeind der 1A-Lagen – hat sich mit Amazon Books, Amazon Go und Amazon 4-Star in den stationären Handel gewagt.

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Diese Unternehmen straffen wie viele Andere laut Coyne ihre Angebote und machen das Erlebnis im Store zum Mittelpunkt.

Der gegen Ende letzten Jahres eröffnete Flagship Store von Glossier in New York erstreckt sich über 3 Etagen und ist als immersiver Szene-Treffpunkt angelegt, an dem die Kunden die Marke und sich gegenseitig kennenlernen können. Die gemeinsam mit Gachot Studios und dem Architekturbüro PRO entwickelte Fläche lädt Kunden dazu ein, mit Offline-Redakteuren „abzuhängen“, Produkte auszuprobieren und einzukaufen, und in das Glossier-Universum einzutauchen. Einem Artikel in der New York Times zufolge bietet der Store genau das, was schon sehr bald zu den 3 G der digitalen Ära wird: Gemeinschaft, Gespräche und Geschichten.

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In Europa hat der polnische e-Commerce Schuhhandel Eobuwie.pl kürzlich auch „stationären Boden“ betreten und zwar mit einem neuen Konzept, das Digital und Stationär nahtlos auf der Fläche zu einer spannenden Alternative zum herkömmlichen Schuhgeschäft wird, die ideal zum Shoppen ist. Der von Dalziel & Pow mit Sitz in Großbritannien entworfene Store ist digital unterstützt: Er hat kein physisches Produkt mehr auf der Fläche. Die Kunden suchen und bestellen stattdessen auf interaktiven Touchscreen-Tablets ihre Schuhe, die dann aus dem riesigen Lager über ein Regalsystem hinter der Kasse ausgegeben werden.

„Dieses ambitionierte und anspruchsvolle Konzept verbindet den Komfort des Online-Shoppens mit der unmittelbaren Bedarfsbefriedigung im stationären Handel“, erläutert David Dalziel, der Creative Director von Dalziel & Pow, der auch schon für die Online-Marken Missguided, Boden oder Joe Browns gearbeitet hat.

Laut Dalziel, bieten diese neuen Formate Service und Unterhaltung und brechen dabei oft alte Regeln der Kundenbetreuung, Personalausstattung, Provisionierung oder auch der Beratung, um das Kundenerlebnis zu optimieren.

Erlebnisse, führt Dalziel aus, stehen bei den Marken, die neu auf die Fläche kommen, absolut im Mittelpunkt, und wenn die Einzelhandelsfläche dann auch noch das Online-Angebot unterstützt, dann können die Effekte enorm sein.

Online goes Offline - Eobuwie Store in Polen (Foto: Eobuwie)
Online goes Offline – Eobuwie Store in Polen (Foto: Eobuwie)

Erlebnis-Rendite

Wenn man heute die wahren Vorteile der Eröffnung stationärer Geschäfte verstehen will, muss man die Rolle des Ladenlokals neu bewerten und die traditionellen Maßnahmen für erfolgreiche Einzelhandelsgeschäfte überdenken, fordert Michelle Du-Prat, Mitgründerin von Household Design. „Kunden probieren zunehmend Produkte im Laden aus und kaufen sie dann online. Deshalb muss der Einzelhandel sich vom Quadratmeter-Umsatz als Gradmesser seines Erfolges trennen und die Funktion erkennen, die der Laden darüber hinaus erfüllt – als Treiber von Online-Umsätzen, der eine Markenliebe entwickelt und langfristige Kundentreue fördert.“

Laut Nigel Collett, dem Geschäftsführer der Architektur- und Designberatungsfirma rpa:group, geht es jetzt darum, sich auf die „Erlebnisrendite“ zu konzentrieren und nicht auf den ROI. Denn dann werden kurzfristige Umsätze zugunsten der Schaffung langfristiger Kundenbeziehungen hintenangestellt. „Online-Marken werden nicht vom ROI eines Standortes getrieben, sondern blicken auf die weitere Auswirkung, den so-genannten Halo-Effekt.“

Der Halo-Effekt

Interessanterweise lässt eine neue Studie im Vereinigten Königreich zum sogenannten „Halo-Effekt“ vermuten, dass Einzelhändler, die keine physische Fläche zusätzlich zu einer Transaktions-Webseite unterhalten, typischerweise 50% niedrigere Online-Umsätze verzeichnen als die Einzelhändler, die stationär vertreten sind. Die Untersuchung von CACI hat ergeben, dass die Umsätze durchschnittlich 106% höher im Einzugsbereich eines stationären Geschäftes liegen, und bis zu 124% bei Sportbekleidung gehen können, bis 127% bei Mode und sogar 154% bei Elektronik.

Seit Eobuwie.pl seine digital unterstützten Läden in Osteuropa eröffnet hat (jetzt insgesamt sechs und weitere sollen folgen) hat das Unternehmen seinen Umsatz um satte 70% steigern können.

In einer ähnlichen Studie in den USA dazu wie stationär online beeinflusst, fand man heraus, dass die Eröffnung eines neuen Geschäftes in einem Markt zu durchschnittlich 37% mehr Traffic auf der Webseite des Einzelhändlers führt, im Vergleich mit der Webshop-Frequenz vor der Store-Eröffnung. Zudem lässt die Studie vermuten, dass der Halo-Effekt auch die entgegengesetzte Wirkung hat, wenn ein Laden schließt, da dann der Verkehr auf der Webseite rückläufig ist.

„Bei der Planung müssen Einzelhändler immer berücksichtigen, wie die Präsenz von stationären Flächen – Orten, an denen die Kunden die Ware nicht nur aus der Nähe betrachten können, sondern auch mit den VerkäuferInnen interagieren und sogar Waren umtauschen können – die für beide Seiten förderliche Beziehung zwischen Offline- und Online-Handel beeinflussen kann,” sagt der Bericht, der vom International Council of Shopping Centers (ICSC) veröffentlicht wurde.

Casper revolutionierten den verstaubten Matratzen-Markt - online sowie jetzt auch stationär (Foto: Casper)
Casper revolutionierten den verstaubten Matratzen-Markt – online sowie jetzt auch stationär (Foto: Casper)

Die ursprünglich digitalen Vertikalen wie Allbirds oder Casper, die Geschäfte für Warensegmente von Herrenbekleidung bis zu Matratzen eröffnet haben, zeigen, wie unverzichtbar stationäre Geschäfte für den Einzelhandelsmix sind, schließt der ICSC-Bericht. „Ladenlokale sind Orte, an denen Marken real mit dem Kunden in Verbindung treten können, Kunden, die heute viel informierter sind als früher.“

Casper – der 2014 gegründete weltweite Anbieter von Schlaflösungen – hatte auf Wunsch seiner Kunden 2017 erst eine Reihe von Pop-Up Shops in Nordamerika eröffnet, bevor er Anfang 2018 sein erstes festes Geschäft aufmachte. „Der Wunsch, unsere Produkte persönlich zu erleben, hat weiter exponentiell zugenommen“, sagten Casper Mitgründer und Geschäftsführer Philip Krim zu Beginn der Einzelhandelsexpansion. „Die Casper-Handelsflächen ermöglichen den nahtlosen Übergang von Online zu Offline und das halten wir für extrem wichtig für einen außergewöhnlichen Erlebniseinkauf.”

Adore Me Online goes Stationär (Foto: Adore me)
Adore Me Online goes Stationär (Foto: Adore me)

Auch Online-Dessousanbieter Adore Me machte 2018 auf Bitten seiner Kunden den Schritt in den stationären Handel. „Bei unserem Wachstumskurs war die Einrichtung von Geschäften in mehreren Städten der USA für uns ein spannender, aber auch logischer Schritt“, so Iris Voltaire, Managerin für Business- und Marken-Entwicklung bei Adore Me. „Unserer Meinung nach hängt die Nachfrage nach physischen Geschäften mit dem emotionalen, intimen Aspekt zusammen, Dessous anprobieren zu wollen. Wir wollen unseren Kunden die Wahl geben, in unsere Läden zu kommen, und unsere Produkte und Stoffe anzufassen, und sogar eine persönliche Anprobe mit unseren Stylisten durchzuführen.”

Schlussendlich geht es bei allem um das Erlebnis. Um einen erfolgreichen Store aufzubauen, sollten sich Einzelhändler von der Konkurrenz mit einer speziellen Handschrift in Sachen Erlebnis abheben, rät Nathan Watts, Creative Director bei FITCH. “Wofür steht die Marke und wie wichtig ist das für den Kunden? Darauf aufbauend sollte man die Standorte und Sortimente wählen mit der Gründlichkeit und Fürsorge eines Online-Händlers. Was Standorte und Eröffnungen angeht, kann hier weniger mehr sein, denn es ist hilfreich, bei solchen Investitionen Prioritäten zu setzen und fokussiert zu investieren anstatt mit der Gießkanne und in austauschbare Erlebnisse.”

Adore Me Online goes Stationär (Foto: Adore me)
Adore Me Online goes Stationär (Foto: Adore me)

Eigentlich wollen Kunden eine grenzenlose Shopping-Reise und deshalb sollten Händler versuchen, ihre Online- und Offline-Kanäle zu integrieren, damit eine durchgängige Markenerfahrung gesichert ist. „Die wirkliche Chance eröffnet sich, wenn Online und Online nicht entgegengesetzte, sondern integrierte Kontaktpunkte sind, die der Kunde genießen soll und die Teile ein und desselben Einkaufserlebnisses sind“, sagt Watts. Es ist keine Frage, ob Online oder Offline eine Zukunft haben, sondern wie Marken beides sinnvoll nutzen.