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Automotive Showroom

Der Stern erfindet sich neu

Es passiert nicht alle Tage, dass ein Automobilkonzern den Showroom neuerfindet. Doch neue automobile Plattformen, wie sie für Elektrofahrzeuge notwendig sind, die zunehmende Digitalisierung und sich stark verändernde Kundenbedürfnisse erfordern einen neuen Ansatz für den Point of Sale. Ein invidis-Blick hinter die Kulissen der neuen multimedialen Inszenierung MAR2020 von Mercedes-Benz.
Das neue Showroom-Konzept von Mercedes-Benz MAR2020 soll der Marke mit dem Stern ein jüngeres Image verleihen (Foto: Mercedes)
Das neue Showroom-Konzept von Mercedes-Benz MAR2020 soll der Marke mit dem Stern ein jüngeres Image verleihen (Foto: Mercedes)

Das neue Showroom-Konzept von Mercedes-Benz „Markenauftritt Retail 2020“, kurz MAR2020, wurde seit 2015 entwickelt. Ziel war es, ein modernes, schickes und repräsentatives Autohauskonzept zu entwickeln, das der Marke Mercedes-Benz ein jüngeres Image verleiht. Erstmals entstand dabei ein Marktplatzkonzept, das sowohl den Ansprüchen der Kernmarke Mercedes-Benz entsprechen muss als auch Smart, Maybach und AMG. Denn der Showroom der Zukunft muss nicht nur voll-modular sein sondern auch markenübergreifend funktionieren – und bei Daimlers PKW-Sparte ist die Bandbreite vom Kleinstwagen Smart bis hin zur Luxuslimousine Maybach besonders groß.

Eingeflossen in das neue Konzept ist nicht nur die jahrzehntelange Erfahrung der hunderten von Mercedes Benz-Händler und der konzerneigenen Niederlassungen, sondern insbesondere auch die Erfahrungen der Mercedes Me-Stores. Mit Mercedes Me testet die Automobilmarke mit dem Stern seit Beginn der 2010er Jahre neue innovative Innenstadt-Konzepte bei denen die Fahrzeugausstellung in den Hintergrund tritt. Kleine hippe City-Standorte von Hamburg bis Hongkong wurden zu Cafes mit Experience Zonen umgestaltet, in denen nur ein paar ausgewählte Mercedes Benz Fahrzeuge Platz fanden. In Moskau zog Mercedes Me beispielsweise in die Lounge eines Kino Centers, während in Peking ein Cafe und zwei Edelrestaurants die Fläche dominieren. Mercedes Me war immer mehr Imagebildung und Markenshop als Verkaufsplattform.

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Doch nur Fans für die Marken zu gewinnen verkauft noch keine Autos. Ein neues Showroomkonzept musste her mit dem Besten aus Showroom und Mercedes Me. Erstmals realisiert und am lebenden Objekt getestet wurde das MAR 2020 Konzept unweit des Mercedes Benz-Stammsitzes in Böblingen vor den Toren Stuttgarts. In einem realen Autohaus wurde einzelne Touchpoints, Inszenierungselemente (Möbel) und insbesondere auch der Customer Journey über mehrere Jahre getestet. Welche Rolle spielt Digital, wie werden Fahrzeuge am besten präsentiert und neue Technologien erklärt? Wie kann das Mercedes Benz Autohaus der Zukunft den Spagat zwischen Verkauf, After-Sales Service, Imagebildung und Eventfläche hinbekommen?

Eine Herausforderung für Mercedes-Benz war, die wirtschaftlich eigenständigen Partner von den großen Investitionen des neuen Showroom-Konzepts zu überzeugen (Foto: Mercedes)
Eine Herausforderung für Mercedes-Benz war, die wirtschaftlich eigenständigen Partner von den großen Investitionen des neuen Showroom-Konzepts zu überzeugen (Foto: Mercedes)

Eine besondere Herausforderung im Automobilhandel ist die Vertriebsstruktur. In der Regel werden die Showrooms von konzernunabhängigen Händlern und Importeure betrieben. Die wirtschaftlich eigenständigen und unabhängigen Partner betreiben den Großteil der Mercedes Autohäuser auf eigene Rechnung. Die Zentrale in Stuttgart kann somit nur Empfehlungen geben und muss die Partner von den großen Investitionen überzeugen. Ein Durchregieren ist nicht möglich.

Digitaler 3D-Teststore mit Livedaten

Im Böblinger Teststore wurde in den vergangenen Jahren vieles ausprobiert bis das ideale Konzept feststand. Ein große Hilfe waren auch Retail Analytic Systeme der schwedischen Modcam. Die Daimler Beratungssparte Mercedes Benz-Consulting entwickelte mit Partnern eine digitale 3D-Kopie des Stores um die Bewegungen- und Interaktionen der Teststore-Kunden zu analysieren und verständlich darzustellen. Dazu wurde ein bisher in der Automobilindustrie so noch nie realisiertes 3D-Modell erstellt, in dem die Livedaten eingespielt wurden und Auswirkungen auf Customer Journeys simuliert werden konnten.

Das neue Showroom-Konzept soll im Mercedes-Benz Autohaus der Zukunft den Spagat zwischen Verkauf, After-Sales Service, Imagebildung und Eventfläche hinbekommen (Foto: Mercedes)
Das neue Showroom-Konzept soll im Mercedes-Benz Autohaus der Zukunft den Spagat zwischen Verkauf, After-Sales Service, Imagebildung und Eventfläche hinbekommen (Foto: Mercedes)

Das Ergebnis ist das hochmodulares MAR 2020 Showroomkonzept, das auf der Digitalseite von Daimlers Digitalpartner ICT AG mit entwickelt wurde. Grundsätzlich können Mercedes Benz Partner zwischen zwei Versionen auswählen:

  • Premium-Version (zentrale Technik mit Kreuzschiene – jede Content-Quelle kann auf jedem digitalen Touchpoint ausgespielt werden)
  • Basic Version (gleiche Touchpointkonzepte, nur oft kleiner und mit dezentraler Technik in den Inszenierungselementen)

Die Basic Version ist dabei die bei weitem gefragteste Digital-Konfiguration während die Premium-Version nur in Toplagen und mehrstöckigen Autohäusern zum Einsatz kommt. Carolin Neumahr, verantwortlich für den Kunden Mercedes Benz, erläutert im invidis-Gespräch wie aufwändig die Rolle des Digital-Entwicklungspartner war. Aufwändige Wärmetests mussten für alle Touchpoints erstellt werden und ein uneingeschränkter Betrieb per Gutachten nachgewiesen werden.

Der Digital Touchpoint Katalog umfasst mehrere Dutzend Komponenten, die wichtigsten Touchpoints von MAR 2020 sind:

  • Stagewall (LCD-Videowall)
  • Beratungsraum (Multibrand Beratungsraum)
  • Beratungshochtisch (Infodisplays hinter Schwarzglas)
  • Shopausstattung mit und ohne Touchdisplays

Eine Stagewall umfasst 18 Displays (6×3) auf der Hauptbühne für Highlight-Fahrzeige. Größere Showrooms haben zusätzlich noch Sub-Stages mit kleinere Videowalls. Neu sind auch Stage Walls in der Fahrzeugauslieferung – die zukünftig eine weitaus wichtigere Rolle im Customer Journey einnimmt. Experiences mit WoW-Effekten und Technologie-Einweisungen bekommen bei vollelektrischen Fahrzeugen eine größere Bedeutung. Generell setzt Mercedes-Benz bei Videowall-Content auf 32:9 Widescreen-Format.

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Individualisierbare Beratungsräume mit Marken-CI

Eine weitere Änderung findet bei der Beratung statt. Statt wie bisher mit dem Verkäufer am Schreibtisch im öffentlichen Verkaufsraum, verlegt Daimler die Beratungsgespräche in separate Räume. Diese sind mit einem großen Display für die Konfiguration und einem Brand-Screen ausgestattet. Mit dem Multibrand-Ansatz kann jeder Beratungsraum auf Knopfdruck markentypisch gebrandet werden. Das jeweilige Markenlogo erscheint auf dem LCD und markentypisches LED-Licht liefert Ambiente. Die Interaktion mit der Konfiguration erfolgt über ein Tablet und kann am Screen vom Kunden mitverfolgt werden. Zusätzlich sieht das Konzept auch auch offene Beratungszonen vor – ähnlich zu Huddle Cornern mit Stehtisch und Display hinter Glas. Weitere Digital Signage Installationen befinden sich im Shopbereich und bei Aftersale.

Das MAR2020-Konzept sieht offene Beratungszonen vor, die spezifischen Beratungsgespräche werden aber in separate per Knopfdruck individualiserbare Räume verlegt (Foto: Mercedes)
Das MAR2020-Konzept sieht offene Beratungszonen vor, die spezifischen Beratungsgespräche werden aber in separate per Knopfdruck individualiserbare Räume verlegt (Foto: Mercedes)

Mercedes Benz hat sich bei allen digitalen Touchpoints für bewährte LCD-Technologie und gegen LED entschieden. Nicht nur wegen der Unterschiede bei Wärmeentwicklung, Energieverbrauch und Service, sondern insbesondere auch wegen der Kosten. NEC Displays hat sich in einer Ausschreibung als weltweit präferierter Displaypartner durchgesetzt, theoretisch sind die Händler aber frei, auch andere Hardware einzusetzen. Allerdings passen dann höchstwahrscheinlich die Möbel und thermischen Konzepte nicht mehr. Bei der Wahl des Digital Signage CMS ist keine wirkliche Wahl möglich. Mit der bereits existierenden Scala-Infrastruktur mit Content-Servern in der Mercedes Benz Hauptverwaltung und Client-Lizenzen bei den Händlern ist Kontinuität angesagt. Ein Ersatz der vorhandenen Lizenzen wäre zu teuer gekommen.

Die Generalunternehmerschaft des MAR2020 Rollouts wurde nach globaler Ausschreiung zentral an den französischen Leasing und IT-Konzern Econocom vergeben. Nach Accenture Digital bereits die zweite Digital Signage Vergabe bei Mercedes Benz, die nicht an ein DS Spezialisten, sondern an einen internationale Professional Service-Organisation vergeben wurde. Doch Econocom ist nicht der Monopolist für das Projekt. Händler und Importeure können ihre eigenen Digital Signage Partner für die Installation wählen. In der Praxis sind es in größeren Märkten immer mehrere Integratoren, zwischen denen Mercedes Benz Händler und Importeure wählen können. In Deutschland sind es neben der ICT auch Mevis und Econocom, die als Partner gelistet sind.

Rollout: Jedes Projekt eine Herausforderung

Für die ICT hat nun nach vielen Jahren in der Rolle des Entwicklungspartner nun der Stress des Rollout-Tagesgeschäfts begonnen. Bereits 30 Autohäuser primär in Deutschland und Nachbarmärkten wurden bereits durch ICT umgerüstet. In der Regel setzt ICT dabei auf eigene Teams. „Die große Welle des Rollouts kommt nun in den kommenden Monaten. Wir sind gut darauf vorbereitet und haben durch die letzten 1,5 Jahre MAR2020 Projekterfahrung ein starkes Expertenteam an Planer, Projektleiter, Techniker und Programmierer am Start.“, so Carolin Neumahr von ICT im Gespräch mit invidis. „Doch mit der Projektplanung müssen wir im sehr kurzfristig reagieren. Medientechnik ist immer das letzte Gewerk. Vor allem bei Neubauten gibt es immer die Gefahr von baubedingten Verzögerungen mit denen wir oft kämpfen müssen als letztes Glied in der Kette.“

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Aufgrund der Unabhängigkeit der Händler kann es keine Gesamtsteuerung des weltweiten Rollout geben, die Nachfrage wird bestmöglich durch die Integratoren geplant. Die Zentrale agiert als Konzeptgeber während Architekten mit Konzeptanpassungen die Händler unterstützen und dafür sorgen, dass eine sinnvoller Customer Journey in jedem Showroom ermöglicht wird. Hier liegt eine der großen Herausforderungen, nicht nur bei Mercedes Benz, sondern bei allen Automobil Showroom-Konzepten. Autohäuser können sehr flexibel bespielt werden, die Anzahl und Positionierung der Ausstellungsfahrzeuge ändert sich häufig. Digitale Touchpoints – in der Regel fest verortet im Showroom – stehen oft suboptimal zur veränderten Customer Journey. Der Einfluss der Zentrale ist hier sehr limitiert. 

Für die ICT und die anderen Integratoren bringt damit jedes Projekt neue Herausforderungen: „Anstelle von einem Kunden, haben wir nun über Hundert, Jede Installation ist anders. In Spitzenzeiten sind wir parallel mit mehreren Teams auf verschiedenen Baustellen. Die Digital-Gesamtinstallation kann dann schon mal schnell ein hohe sechsstellige Investition für den Händler sein. 50-70 Displays kommen da zusammen und wir benötigen bis zu 10 Installationstage“, so Neumahr.

Das Mercedes Benz Team bei der ICT umfasst für den Rollout 30 Mitarbeiter – davon 10 im Projektmanagement und 20 unterwegs. „Doch nicht nur der Rollout bedarf einer detaillierten Planung, eines großen Teams und belastbaren Partnerökosystems.“ Nach dem Rollout liefert die ICT auch den Support für die Systeme und ist in das Daimler Ticketsystem als 3rd Level Support integriert. „Durchaus eine Herausforderung, da jeder Händler seine eigene IT-infrastruktur betreibt und jede Installation anders ist“, erläutert Neumahr.

Auch die Möbel wurden für MAR 2020 komplett neuentwickelt. Die Nutzungsdauer der Möbel ist für ein langjähriges Konzept ausgelegt. Die eingesetzten Glasscheiben sind mir Passportouts foliert, um später einmal auch größere Displays oder LED ohne großen Umbau aufnehmen zu können. Zwischen Design und Installation lag auch hier ein weiter Weg. Neben der Praxiserprobung in Böblingen (Installation, Maintenance, Robustheit im Alltag) musste auch die Konstruktion für die Massenfertigung, Lagerung und Transport optimiert werden. Hier war das Know-how der Shopfitting-Consultants von Vizona gefragt, die seit Jahrzehnten weltweite Rollouts managen. Gebaut werden die Möbel von Isaria aus München und Arno in Wolfschlugen, die weltweit für viele der großen Automobilhersteller tätig sind.

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